INTERVIEW: SUSAN VAHABZADEH Neun Romane hat der iranische Schriftsteller Amir Hassan Cheheltan seit 1976 geschrieben, und keinen einzigen davon konnte er reibungslos veröffentlichen. Zwei Jahre lang lebte Cheheltan in Italien, weil sein Name auf einer Liste verfemter Schriftsteller stand. Inzwischen lebt er wieder in Teheran, wo er 1956 geboren wurde – und bringt seine Bücher im Ausland heraus. Im Kirchheim-Verlag erschien in diesem Jahr „Iranische Dämmerung“. Sein neues Buch, der historische Roman „Der Kalligraph von Isfahan“, ist gerade als deutsche Erstveröffentlichung im Verlag C.H. Beck erschienen.

 

 

SZ: Betreiben Sie die iranische Geschichtsschreibung? In Ihren bisherigen Büchern haben Sie das 20. Jahrhundert aufgearbeitet, „Der Kalligraph von Isfahan“ spielt Anfang der 18. Jahrhunderts, Isfahan wird von Afghanen belagert, Sunniten, in der Stadt sind gerade besonders strenge Schiiten an der Macht . . .


Amir Hassan Cheheltan:Es geht um Hardliner und Softliner und um eine Zeit, als alles, Musik, Tanz, Wein, verboten war – und der Angriff steht bevor; das war das Ende der Safawiden, des damaligen Herrscherhauses. Es gibt da Ähnlichkeiten zu heute. Und ich wollte sehr gern über Rumi schreiben – es gibt eben auch im Nahen Osten friedliche Stimmen.

 

 

Das ist der persische Sufi-Dichter aus dem 13. Jahrhundert, dessen Werk der Kalligraph niederschreibt.

Die Mullahs mochten Rumi nicht, es gab sogar mal gegen Rumis „Mathnawi“ eine Fatwa, man sollte es nicht mit bloßen Händen anfassen. Es gibt aber fünf Dichter, die tief verwurzelt sind in der iranischen Haltung: Chayyam, Saadi, Firdousi, Hafis und Rumi. Die Geschichte hat viele Lektionen parat, man muss sie aber kennen.

 

 

Sie beklagen, es gebe keine richtige iranische Geschichtsschreibung.

Die iranische Geschichtsschreibung wird nicht an den Universitäten gemacht, sondern von Politikern. Die Verstaatlichung der Ölquellen fand unter dem Premier Mossadegh statt, das war 1951 – es gibt eine Version der Kommunisten, der Monarchie, der Islamischen Republik, und die Menschen sind davon verwirrt. Es ist schwierig, all diese Versionen zu lesen und sich eine Meinung zu bilden. Jedes Regime in Iran hat die Straßen umbenannt – auch das ist verwirrend.

 

 

 

Wie ist es, in Teheran zu leben, obwohl Sie Ihre letzen Bücher nicht mehr in Iran veröffentlichen konnten? Für einen Schriftsteller ist die Bindung an die Sprache, in der er schreibt, zweifellos sehr wichtig – aber fühlen Sie sich nicht auch bedroht?

Ich kann meine Bindung an dieses Land nur sehr schwer erklären. Es ist mehr als die Sprache. Weil ich so viel über jüngere Geschichte schreibe, brauche ich die Archive, die Bibliotheken. Ich war ein paar Mal mehrere Jahre weg – aber ich fühle mich da immer wie ein Fahrgast, dessen Zug gleich losfahren wird: Ich kann mich nicht genug konzentrieren, um zu arbeiten. Es hat Zeiten gegeben, als mein Leben in Iran in Gefahr war, und es ist trotzdem der einzige Ort, an dem ich ruhig schlafe.

 

 

Das Buch „Amerikaner töten in Teheran“ haben Sie versucht, durch die Zensur zu bekommen. Wie läuft so etwas ab?

Es gab Bedingungen – ich sollte beispielsweise das ganze letzte Kapitel weglassen. Das war natürlich unmöglich.

 

 

Der Roman streift durch das 20. Jahrhundert, im letzten Kapitel ist die Islamische Republik schon da – es geht um Hinrichtungen im Jahr 1988.

Richtig. Ich hatte aber auch schon bei meinem ersten Roman Probleme mit der
Zensur, 1976. Damals gab es politische Zensur – aber sie hat sich nicht um Erotik gekümmert. Jetzt ist es so: In einem Roman darf ein Mann nicht einmal die Hand einer Frau berühren. Und ein Wort wie „Wein“ ist tabu – lächerlich. Die klassische persische Literatur ist so voll von Wein, dass man vom Umblättern feuchte Finger bekommt. Und es gibt in der alten persischen Poesie reichlich Homosexualität, oft ist der Adressat von Liebesgedichten ein Mann.

 

 

Sie dürften das heute nicht mehr schreiben, und das Kino darf es nicht zeigen.

Im Kino ist das manchmal komisch: Da geht ein Paar durch eine Straße, die Frau fällt hin, und ihr Mann bittet eine Fremde, ihr aufzuhelfen. Das sieht künstlich aus. Gefälscht. Junge Autoren fangen langsam an, sich selbst zu beschneiden. Viele Autoren, die ins Ausland gegangen sind, können mit der Kultur, in der sie jetzt leben, nicht kommunizieren – auch das will ich nicht; von seiner Heimat kann man dann ja auch im Ausland nicht mehr erzählen.

 

 

Hat das denn einen Einfluss auf das Land selbst? Wäre es derselbe Ort, wenn Sie oder verfolgte Filmemacher weggingen?

Nein. Nach der Revolution war der Mittelstand ruiniert; inzwischen ist er wieder erstarkt. Die Leute, die das Land verlassen haben, waren Akademiker, Schriftsteller, Künstler – das alles ist Mittelstand. Wären sie dageblieben, hätten sie die Dichte von Wissen, von Weisheit in der Gesellschaft verändert; das hätte eine Rolle gespielt. Iran ist seit vierzig Jahren in der Krise.

 

 

Eigentlich seit hundert Jahren.

Ja, seit Beginn des 20. Jahrhunderts – ist das nicht erstaunlich, das wir schon 1906 ein Parlament hatten, das erste im Nahen Osten? Manchmal fragen mich Leute in Europa: Wann kommt der Arabische Frühling in Iran an? Ich kann dann nur sagen: Sie haben keine
Ahnung vom Nahen Osten. Wir hatten unseren Frühling; 1906, dann 1951, als die Ölindustrie verstaatlicht wurde, und 1978, als die Monarchie durch eine Revolution abgelöst wurde – nicht durch einen Staatsstreich! Vielleicht hat die Basis gefehlt, diese Dinge wurden nicht, was sie hätten sein können. Aber das Potenzial ist da. Es gibt so viele Klischeevorstellungen von Iran im Westen. Die Wahabiten in Saudi-Arabien lehren mit Büchern, die fast deckungsgleich sind mit den Lehren des IS. Und wenn ich sehe, wie Obama den König von Saudi-Arabien herzlich empfängt, habe ich als liberaler Mensch ein Problem. Was soll ich da denken: Das sind die Systeme, die bevorzugt werden?

 

 

Sind Sie optimistisch, was die Veröffentlichung Ihrer Bücher betrifft?

Ich musste mit der Zensurbehörde immer Kompromisse machen. Rohani war seit seinem Amtsantritt mit dem Atom-Deal beschäftigt – aber viele Leute denken, dass er sich danach mit der Kulturszene befassen wird. Er wird von den Hardlinern bedrängt – ich kann das zwischen den Zeilen in den Statements, die sie über einander herausgeben, lesen. Es wird zwei wichtige Wahlen im nächsten Jahr geben, und die Ergebnisse bestimmen, ob Rohani halten kann, was er uns versprochen hat. Wenn nicht, wäre das ein Scheitern, das sogar den Atom-Deal in Gefahr bringt, und genau deswegen halte ich es für
möglich, dass er seinen Einfluss ausweiten kann. Deshalb bin ich optimistisch.

 

 

Staatspräsident Chatami, der letzte Reformer im Amt, war immer in einer schwachen Position.

Das waren trotzdem großartige Zeiten, wenn es auch nur zwei, drei Jahre dauerte – 1998 beendeten die Geständnisse der Agenten des Informationsministeriums die Ermordung von Intellektuellen.

 

 

Das waren die sogenannten Kettenmorde. In den Neunzigerjahren sind immer wieder oppositionelle Intellektuelle umgebracht worden, am Ende gab es einen Prozess.

Das war das einzige Mal, das die Regierung die Verantwortung übernommen hat für die Ermordung von Schriftstellern und Intellektuellen – auch wenn es hieß, es habe sich um eine isolierte Zelle innerhalb der Regierung gehandelt. Schriftsteller wurden das ganze Jahrhundert über von den Machthabern angegriffen. Aber die Morde 1998 waren ein großer Skandal in Iran. Und solche Morde gibt es nicht mehr.

 

 

Es gibt aber noch Verhaftungen.

Ja, die gehen weiter – aber ich rede ja jetzt von Mord. Es passieren immer wieder erstaunliche Dinge unter der Zensur – manchmal erscheinen unglaubliche Sachen in einer ersten Auflage, bis jemand es merkt und die zweite verhindert. Das ging mir so mit „Iranische Dämmerung“. Das Buch war auf dem Markt und wurde erst dann verboten.
Zensur ist sehr auf bestimmte Wörter fixiert – „Homosexualität“ beispielsweise. Wenn das Wort gar nicht vorkommt, man es aber aus dem Kontext entnehmen kann, dauert es manchmal eine Weile. Für mich als Schriftsteller reicht es, wenn die Bücher einmal veröffentlicht werden – dann sind sie Teil der persischen Literaturgeschichte, und dagegen kann keiner mehr was unternehmen. Es ist wie ein Spiel.

 

 

Ich glaube, hier nennt man dieses Spiel Katz und Maus.

Genau – und es ist auch irgendwie aufregend. Dass Dinge verboten sind, heißt ja nicht, dass es sie nicht gibt. Satellitenschüsseln sind auch verboten, die Dächer sind dennoch davon bedeckt.

 

 

Ist Irans Verhältnis zum Westen schizophren? Sie schreiben in einem Ihrer Bücher, es sei von Eifersucht geprägt.

Der Westen ist unsere Referenz, und ich glaube nicht, dass es eine bessere gibt. Nehmen Sie die Flüchtlingskrise: Es gibt Leute, die sagen, wir müssen uns um diese Menschen in Not kümmern. Das sollte man nach islamischen Regeln auch, aber ich habe so etwas aus den reichen arabischen Ländern nicht gehört.

 

„Junge Autoren fangen langsam an, sich selbst zu beschneiden.“

„Manchmal erscheinen unglaubliche Sachen in einer ersten Auflage.“

 

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@Süddeutsche Zeitung