Ein Zyniker könnte behaupten, dass die islamische Revolution in Iran ein Segen war - nicht für die Vereinigten Staaten, aber doch für die Amerikaner. Nie sind so wenige Amerikaner in Teheran gestorben wie seit 1980 - schon weil seit der Besetzung der amerikanischen Botschaft keine amerikanischen Offiziellen mehr im Land waren. Aber wenn die Mullahs der US-AirForce die unbemannten Drohnen vom Himmel angeln, führen sie auf unblutige Weise ein bald hundert Jahre altes Katz- und Maus-Spiel fort: Das lernen wir in Amir Hassan Cheheltans geheimnisvollem Roman „Amerikaner töten in Teheran“.

Das Buch ist so schillernd und schwer zu greifen wie der Titel: Sind die Amerikaner hier Subjekt oder Objekt? Töten sie oder werden sie getötet? Im Roman geschieht, ganz wie in der Realität, natürlich beides. Aber: Ist es überhaupt ein Roman? „Amerikaner töten in Teheran“ erinnert über weite Strecken an eine Art Dokufiktion. Reale Ereignisse werden literarisch neu inszeniert, die Personen sind teilweise historisch, und einen Disclaimer suchen wir am Anfang des Buchs vergeblich.

 

 

Das Leitmotiv der irrationalen Paranoia


Die amerikanisch-iranischen Antipathie, lernen wir, war nicht immer da. In der ersten der sieben Episoden des Buchs, die fast das ganze zwanzigste Jahrhundert abdecken, wird Major Robert Imbrie als Vizekonsul aus Istanbul an die Amerikanische Botschaft in Teheran versetzt, und „zu jener Zeit galt die Vorliebe für Amerika noch nicht als Schande“. Als großer Feind galt die Kolonialmacht Großbritannien mit ihrer neu erwachten Gier nach Erdöl, während die Vereinigten Staaten noch als ehrliche Makler erschienen, die nach dem Ersten Weltkrieg für die Souveränität der Völker im Nahen und Mittleren Osten eintraten.

Die Ermordung des ersten Amerikaners in Teheran scheint eher ein Versehen gewesen zu sein. Nachdem Imbrie versucht hatte, einen heiligen Brunnen zu fotografieren, wird er von einem abergläubischen Mob durch die Straßen gejagt und schließlich zu Tode geprügelt. Wenn es aber ein bloßer Unfall war, was bedeutete der geheimnisvolle, mehrfach auftauchende Motorradfahrer, der die Menge zu kontrollieren schien? Diese erste Episode des Buchs bleibt so rätselhaft wie alle weiteren, aber die Irrationalität, der Aberglaube und die von Furcht und Neid genährte Paranoia gegenüber den Fremden ziehen sich leitmotivisch durch den Text.

 

 

Dem Leser kein Urteil vorgeben


Die zweite und politisch folgenreichste Episode spielt 1953, als die CIA aus Angst vor einem kommunistischen Iran den Sturz des demokratisch gewählten Präsidenten Mossadegh organisierte, den Schah zurückbrachte und damit ein bis heute fortwirkendes Trauma unter den Iranern auslöste. Diesmal waren es die Amerikaner, die töteten und sich mit den rückschrittlichen und irrationalen Kräften in Iran verbündeten. Selbst in dieser scheinbar eindeutigen Episode aber, die den geschichtlichen Fakten so nah ist, greift Cheheltans Kunst des Schwebezustands.
Die kaum vierzig Seiten sind ein großer Moment in der iranischen Literatur schon deshalb, weil sie die gängige Sichtweise, die von nahezu allen Iranern gleich welcher Couleur geteilt wird, behutsam, aber doch unübersehbar, umkehren: Die CIA hatte bei diesem Umsturz ihre Finger im Spiel, gewiss; aber letztlich waren es doch die Iraner selbst, die Mossadegh vertrieben: opportunistische, schahtreue Militärs, die Geistlichen, und wieder ein von irrationalen Gefühlen getriebener Mob. Mossadegh und seine Leute werden - und das kommt im Rahmen der iranischen Diskussionen fast schon einem Sakrileg gleich - als unentschiedene Schwächlinge dargestellt, die die Chance verspielen, das Flugzeug des Schahs abzuschießen, und die den absehbaren Putsch wie ein unausweichliches Schicksal hinnehmen. Oder hat Mossadegh einfach nur human gehandelt, wie es die Worte nahelegen, die der Autor ihm in den Mund legt? „Das würde ein Blutbad geben. Regieren um jeden Preis? Das ist mir unmöglich!“ - „Der Sinn des Regierens ist nicht, mit sich selbst zufrieden zu sein!“ - „Aber auch nicht, sich deswegen zu hassen.“ Cheheltan schafft es tatsächlich, auch in dieser aufgeladenen Episode dem Leser kein Urteil vorzugeben. Im Rahmen der hochpolitisierten iranischen Literatur, gerade auch des Exils, ist dies ein kleines Wunder.

 

 

Sex und Tod als antagonistisches Verhaltensmuster


Die große Zeit der Jagd auf die Amerikaner in Teheran waren die siebziger Jahre, als das Regime des Shah immer rascher seinem Ende entgegenschlitterte und jeder Angriff auf die Amerikaner als Angriff gegen den Schah galt. Resa, Sohn eines Mossadegh-treuen Hauptmanns, besucht am Abend, bevor er den amerikanischen Oberst Hawkins erschießt, ein Bordell. „Bevor ich sterbe, muss ich mit einer Frau geschlafen haben. Nur wenn man lebt, weiß man das Leben zu schätzen. Was wissen wir denn davon, wo wir es uns doch selbst verboten haben?“

Als Resa schon in den Gefängnissen des Schahs sitzt, wird diese Lehre von seiner Schwester Mina auf ihre Weise interpretiert. Ohne Umstände geht sie mit George, einem jungen Amerikaner, ins Bett. Zuvor diskutiert George mit einem iranischen Professor über die persische Seele. Gibt es so etwas denn? Kann die Literatur, wie der Professor behauptet, einen Schatten auf das Schicksal eines Volkes werfen? „Ihre ständige Präsenz, selbst im gegenwärtigen Jahrhundert, macht unser Leben komplizierter, statt es zu erhellen.“ Der Amerikaner widerspricht, und auch seine Geliebte versucht, indem sie mit ihm schläft, den vorgegebenen Verhaltensmustern zu entkommen. Wenige Tage später werden beide bei einem Restaurantbesuch durch einen Anschlag getötet.

 

 

Ein filigraner Spiegel für die Iraner


Die islamische Revolution, die Religion und Gruppenzwang statt Aufklärung und individuelle Lebensführung propagiert, passt in dieses Muster. Aber die Besetzung der amerikanischen Botschaft in Teheran im November 1979 spart Cheheltan überraschenderweise aus. Ihn interessieren die Individuen am Rand der öffentlichen Wahrnehmung. In den letzten beiden Episoden rückt die Mutter Rezas ins Zentrum. Ihr Sohn hat unter der Folter Gesinnungsgenossen verraten. Vor der Schande, die damit über sie kommt, rettet auch sie sich in den Aberglauben.
Vorsichtig, fast wie ihm Umgang mit einem Patienten, hält der Autor den Iranern den Spiegel vor. Nicht für uns, die wir es lesen, sondern für sie, die es wegen der Zensur nicht lesen können, ist dieses subtile Buch geschrieben. Die plumpen westlichen Leser (und mit ihm übrigens die beiden Übersetzer) bewegen sich darin wie der Elefant im Porzellanladen und hätten es an vielen Stellen vermutlich gern expliziter und weniger deutungsoffen. Dass Cheheltan dieses Bedürfnis, anders als viele Exilautoren, nicht bedient, ist ihm hoch anzurechnen. Authentischer als hier ist die iranische Literatur der Gegenwart für deutsche Leser derzeit nicht zu erfahren.

 

 

BY: F.A.Z