Teheran, Stadt ohne Himmel (Novel)
Description
EINE CHRONOLOGIE VON ALBTRAUM UND TOD
Kerâmat sieht gut aus, ist mutig und brutal. Mit zehn läuft er von zu Hause weg, geht nach Teheran und verkauft seinen Körper. Am Vorabend der Islamischen Revolution schließt er sich einer Gang an, die Bordelle betreibt und gegen unliebsame politische Versammlungen vorgeht. Aus dem Krieg zwischen Iran und Irak schlägt er Kapital, indem er einen Schwarzhandel mit Medikamenten und Lebensmitteln organisiert. Als Dank für die Zerschlagung oppositioneller Gruppen erhält Kerâmat nach der Revolution den Posten des Direktors in einem berüchtigten Gefängnis für politische Gefangene. Mit Kerâmat macht Amir Hassan Cheheltan eine ambivalente Figur zum Helden seines neuen Buchs. In ihr kristallisieren sich die Widersprüche des heutigen Iran, von denen der Autor in einer poetischen und berührenden Sprache erzählt. Der Roman erscheint weltweit erstmals in ungekürzter Fassung – die Originalausgabe und die arabische Ausgabe konnten bislang nur zensiert erscheinen.
By C.H.BECK
Reviews
Teheran, Stadt ohne Himmel
08 April 2017Der iranische Autor Amir Cheheltan arbeitet unter unzumutbaren Bedingungen: angefeindet bis hin zu Todesdrohungen und nur ein Teil seines Werks darf in seinem Heimatland, und das nur in zensuriertem Ausmaß, erscheinen.Sein jüngstes Buch "Teheran, Stadt ohne Himmel" ist jetzt im Verlag C. H. Beck in deutscher Sprache erhältlich.
Teheran, so wie es Amir Cheheltan beschreibt, das ist eine Stadt, die Jahrzehnte das Wachstums und des Zuzugs erlebt hat, in der Menschen zu hunderttausenden im Existenzkampf stehen, viele davon auch auf Wegen jenseits jeder Legalität. Amir Cheheltan bleibt dieser Stadt tief verbunden, allen widrigen Umständen zum Trotz: "Es ist einerseits eine chaotische Stadt mit verpesteter Umwelt und viel Verkehr, was es sehr schwierig macht, in einer solchen Stadt zu leben, aber andererseits gibt es keine andere Stadt, die mir so viel Spannung und Energie geben kann."
Zensur einer verborgenen Geschichte
Auch von widrigen politischen Umständen ist viel die Rede in Amir Cheheltans Werk, vom Sturz des Ministerpräsidenten Mossadegh in den Fünfzigerjahren., mit kräftiger CIA - Unterstützung, über das Schah- Regime bis hin zu den Mullahs von heute. Cheheltan beschreibt, wie sich politische Zustände im Alltag manifestieren und eckt damit auch an: "Mein Roman ist eine verborgene Geschichte dieser Stadt, und das macht ihn auch zu einer verborgenen Geschichte meines Landes im 20. Jahrhundert, einer Geschichte, die der offiziellen Darstellung widerspricht."
Eine verborgen Geschichte seiner Stadt will Cheheltan schreiben. Immer wieder hat er dabei auch mit der iranischen Zensur zu kämpfen. Er will nicht ins Exil, auch wenn es zuweilen für ihn schon ziemlich gefährlich wurde in fanatisierter Umgebung. Er will auch, dass wenigstens ein Teil seiner Bücher zuhause, im Iran erscheint, und er geht dabei erstaunlich weit in seiner Kompromissbereitschaft: "Ich habe selbst ein Drittel meines Textes gelöscht, bevor ich ihn bei der iranischen Zensur eingerichtet habe", sagt Amir Cheheltan. Daraufhin wurde die Genehmigung zum Druck erteilt.
Nur in der jetzt veröffentlichten deutschen Ausgabe von "Teheran, Stadt ohne Himmel", ist der vollständige Text zu lesen, die Geschichte eines kleinen Gauners, der es als Mitläufer und brutaler Gewalttäter bis zum Direktor eines Foltergefängnisses bringt, dem Schah genauso zu Nutzen wie den Islamisten.
Kriegsbefürchtungen
Zuhause in Teheran erlebt Amir Cheheltan auch, wie die Besorgnis vor einer Konfrontation mit dem Westen wächst. Und wie dennoch Drohungen, wie jene, der Iran werde bald angegriffen, etwa von Israel her, weggedrängt werden.
Amir Cheheltan denkt über die Situation folgendermaßen: "Über einen bevorstehenden Angriff nachzudenken oder zu sprechen, das kann ein Mensch nicht lange aushalten. Kein Mensch kann in ständiger Anspannung leben, ich glaube allerdings, dass ein Krieg schon sehr wahrscheinlich ist."
Über iranische Tagespolitik spricht Cheheltan nicht sehr gerne. Er will schließlich wieder zurück nach Teheran. Aber ein Satz sagt da schon viel: "Diese Konzentration auf das Nuklearprogramm, könnte für den Iran noch ernste Folgen haben."
Teheran, Stadt ohne Himmel ist ein Roman, so könnte man zynisch meinen, der von einer Stadt handelt, deren Himmel man erst erblickt, wenn man am Ende des Tages niedergestreckt auf dem Asphalt der Straße gelandet ist und auf dem Rücken liegend erblickt, was einem die Erinnerung nicht zeigt: Ein Vanitas-Roman, der tragisch um die Verbundenheit des Selbst eines Menschen mit Zeit und Ort zu erzählen weiß.
Teheran steht nicht nur für die jüngste Grüne Revolution, sondern auch für die im Roman kenntlich werdenden Umwälzungen einer Gesellschaft, vor, während und nach der Islamischen Revolution als Ort politischer Geschichte.
Bereits der Einstieg ist außergewöhnlich. Die Zeit sticht im Buch als Vermessungsmittel der Handlungsteile hervor: Zwar steigt man in das Buch gewöhnlich mittels der Kapitelübersicht hinein, deren Titel geben dann allerdings beunruhigend gleichberechtigt, in chronologischer Folge Stundenzahlen an.Vor dem Beginn des 1. Kapitels steht ein Zeitstrahl, der die wichtigsten Lebensabschnitte zur Hauptfigur Keramat von 1929 bis 1994 vermerkt. Die Kapitel führen uns stundenweise durch den letzten Lebenstag von Keramat, wobei Keramats Erinnerungen durchschritten werden. Wie in einer Zeitkapsel werden die verschiedenen Erinnerungen durch eine Zeitklammer zusammengehalten, nämlich durch den Anruf einer Frau, die Keramat geliebt hat und das folgenreiche Wiedersehen der beiden.
Die oft von Gewalt bestimmten Erinnerungsbilder machen jedoch nicht nur das Seelen- und Selbstbild Keramats aus, sondern an Hand von ihnen durchzieht der Leser auch die Stadt Teheran und gelangt an Ecken und Zeitgeschehen, die bei einem tatsächlichen Besuch der Stadt in jener Zeit wahrscheinlich verborgen geblieben wären. Dabei konfrontiert Cheheltan den Leser mit Keramats Gewalt normalisierenden Grundhaltung, wobei der er die Gedanken seiner Figur schonungslos und in gekonntem sprachlichen Ton festhält. Insgesamt schafft Cheheltan einen sehr genauen Eindruck von dem, was einem Menschen auch real in den Blick fallen könnte, wobei er den Blick auf alles Detailhafte lenkt, was flüchtig erfasst und doch genau in Erinnerung bleiben kann. Die Abbildung gesellschaftlicher Identifikation von Sexualität und Geschlecht vollzieht sich dann auch sehr feinsinnig am Rand der Erzählung an Hand von Gerüchen – als Abbildung der persönlichen Wahrnehmung von Keramat.
Das Buch ist insofern lobenswert, als dass es einen Raum für einen einfachen Menschen mit dessen Lebensweise und Innerem öffnet, der aus den ärmlichsten Verhältnissen aufsteigt. Spannend und authentisch macht den Roman die vom Autor gewählte Vermischung der fiktiven Person Keramat, mit dem authentischen Milieu und seinen historischen Figuren. Keramats Figur lehnt sich dabei an einen politischen Mitläufer an.
Teheran, Stadt ohne Himmel zeigt weiter, dass das in der Gegenwart aktuell künstlerisch und philosophisch vielfach hervorstechende Thema Zeit sich in der Literatur gleichwertig philosophisch und kunstvoll, im Roman in Form und Erzählweise, hervorheben lässt. Zusammenfassend kann man sagen: Das Buch ist spannend und empfehlenswert für alle, die einen bezaubernden und gleichzeitig rauhen Sprachstil schätzen, der Gefühle und Situationen detailreich aufgreift und damit die beständige Aufmerksamkeit seines Lesers einfordert. Der hierdurch oft sehr unterhaltsame Roman fehlt es allerdings auch nicht an der lebendigen Brisanz der damals wie heute gewalttätigen und politischen Tatsachen des Lebens, hier in der Geschichte Irans und Teherans verankert.
Hinzufügend muss erwähnt werden, dass der Roman erstmalig in ungekürzter Fassung erhältlich ist; in der persischen, sowie arabischen Ausgabe konnte er bislang nur zensiert erscheinen.
Dieses Buch ist im Onlineshop und in unseren Läden bestellbar. Mit deiner Bestellung bei uns förderst du unsere Arbeit als soziales und integratives Unternehmen und unterstützt uns bei der aktiven Leseförderung durch Projekte wie den Berliner Lesetroll.
Titel: Teheran, Stadt ohne Himmel
Autor: Amir Hassan Cheheltan
Verlag: C.H. Beck
Genre: Gegenwartsliteratur
ISBN: 978-3406639432
Preis: 19,95 Euro
Blut muss fließen
28 October 2012Mit „Teheran, Stadt ohne Himmel“ beendet der iranische Schriftsteller Amir Hassan Cheheltan seine Trilogie über Irans Metropole
Keramat ist ein Widerling. Die Hauptfigur aus Amir Hassan Cheheltans Roman „Teheran, Stadt ohne Himmel“ ist brutal, opportunistisch und vulgär. Dass er sich selbst als Ehrenmann und kultivierten Frauenschwarm wahrnimmt, würde ihn zudem etwas lächerlich erscheinen lassen, wäre er dafür nicht zu furchteinflößend. Der Antiheld steht im Zentrum des dritten Teils von Cheheltans Teheran-Trilogie, die nun, nach „Teheran Revolutionsstraße“ und „Amerikaner töten in Teheran“, komplett in deutscher Übersetzung vorliegt. Das Original von „Teheran, Stadt ohne Himmel“ konnte nur gekürzt und geglättet erscheinen, die beiden anderen Teile sind im Iran bislang an der Zensur gescheitert.
Der Roman erzählt aus den letzten 24 Stunden Keramats. Tala, seine frühere Geliebte, kündigt ihren Besuch an, nachdem sie sich 15 Jahre nicht gesehen haben. Das löst in Keramat verschiedenste Erinnerungen aus. In Rückblicken springt Cheheltan durch die iranische Zeitgeschichte mit ihren dramatischen Verwerfungen: der Putsch der CIA gegen Präsident Mossaddegh 1953, die Islamische Revolution 1979, die Besetzung der US-Botschaft in Teheran 1979, der Krieg, der von 1980 bis 1988 den Iran und den Irak zermürbte, allesamt Wende- und Brennpunkte der jüngeren iranischen Vergangenheit. Keramat ist an allen irgendwie beteiligt und kann von ihnen, auch den katastrophalsten, profitieren. Als iranischer Wendehals ist er sowohl aufseiten des Schahs am Staatsstreich gegen Mossaddegh als auch an der Islamischen Revolution gegen ebendiesen Schah beteiligt. Im Kielwasser der historischen Umwälzungen schwingt sich Keramat, der Anfang der 1940er Jahre als Kind allein und mittellos aus seinem Heimatdorf nach Teheran gekommen war, zu einem erfolgreichen Geschäftsmann auf, eröffnet nacheinander eine Fleischerei, eine Goldhandlung, einen Obstladen und ein Autohaus und wird schließlich mit illegalem Antiquitätenhandel und Drogengeschäften reich. Das alles gelingt ihm mit Bauernschläue, Rücksichtslosigkeit und Kontakten in die Teheraner Unterwelt, die er als einen „Hort des Mannesmuts, einen Altar der Ehre“ verklärt. Sein politischer Opportunismus geht Hand in Hand mit dem wirtschaftlichen Erfolg. Am Ende foltert und quält er in leitender Position im berüchtigten Gefängnis von Ewin im Namen der Revolution deren Gegner. Kompromisslose Härte ist seine Devise, er ist „keiner von denen, die sich den Arsch mit parfümiertem Toilettenpapier abwischen“. Im Kampf gegen die Verweichlichung sieht Keramat eine dringliche nationale Aufgabe, da sich die „dieser Nation eigene Männlichkeit unter dem Druck der weibischen Verhaltensweise dieser Männer, der teuren Parfums und Puder, der Juwelen und der europäischen Gerichte, der ausländischen Sprachen und der Steaks, die man nur mit Messer und Gabel essen konnte, der kurzen Röcke und der enganliegenden Hosen“ zu verlieren drohe.
Diese gefühlte Bedrohung nationaler Würde und religiöser Identität führt zum Furor gegen alles vorgeblich Fremde. Besonders gefährlich und zersetzend aber scheint ihm die Frau „als Quelle der Sünde“ und „Ursache für Mord und andere Verbrechen“. Selbstgerechtigkeit und Paranoia des regelmäßigen Bordellbesuchers Keramat verbinden sich zu einer bigotten Grundhaltung, die Cheheltan der ganzen iranischen Gesellschaft vorhält.
Leider ist Keramat nicht nur charakterlich ein grober Klotz, er ist es auch als literarische Figur. Cheheltan gönnt ihm keine Schattierungen. Als Porträt eines Monsters wirkt der Text passagenweise bis an die Grenze zur Peinlichkeit überzogen: „Keramat ließ sein Messer über dem Kopf kreisen und sah sich nach Opfern um, er witterte den Geruch von Menschenblut, und es war genau das, wonach ihn verlangte.“ Eine innere Entwicklung ist nicht erkennbar, die angebotene Erklärung für sein skrupelloses Verhalten, der sexuelle Missbrauch des Zwölfjährigen durch einen britischen Unteroffizier, bewegt sich auf küchenpsychologischem Niveau. Dass diese schmerzhafte Demütigung zugleich als Chiffre für den Zustand des modernen Iran und sein Verhältnis zum Westen herhalten muss, macht es nur noch schlimmer. Cheheltan lässt Keramat und seiner Geschichte keinen Raum zum Atmen, ein Erzählfluss stellt sich nie ein.
Als wütendes Psychogramm iranischer Befindlichkeiten aber hat der sprachlich dichte Roman seinen Reiz. Cheheltan zeigt, welche gefährliche Wucht die aus dem tief empfundenen Gefühl der – individuellen und kollektiven – Demütigung geborene Selbstgerechtigkeit, gepaart mit Chauvinismus und Opferattitüde, entwickeln kann.
Amir Hassan Cheheltan: Teheran, Stadt ohne Himmel. Roman. Aus dem Persischen von Kurt Scharf. Verlag C. H. Beck, München 2012. 224 S., 19,95 €.
Ein Tag im Leben des Folterers
18 October 2012Albträume eines Gefängnisdirektors: Mit „Stadt ohne Himmel“ beendet der persische Schriftsteller Amir Hassan Cheheltan seine Roman-Trilogie über die Stadt Teheran
Reflecting the Dark Side of Iran's Capital
16 October 2012In "Tehran, Skyless City", Amir Hassan Cheheltan describes the journey through life of an underdog who arrives in Tehran as an uprooted, orphaned inmate of a home and with a high degree of criminal energy, rises through the ranks to become the director of a torture prison. A review by Volker Kaminski
In "Tehran, Skyless City", the final volume of his Tehran trilogy, it is not Amir Hassan Cheheltan's intention to morally condemn the main protagonist in his story. Instead, he uses the shady character of Keramat to highlight the contradictions of the Iranian capital, contradictions that characterise Tehran and its twentieth-century history, which is marked by revolutions and ruptures.
Keramat is a character that one doesn't forget in a hurry. A big, burly man with a bushy moustache, the seeds of resentment sown in his early childhood regularly unleash bouts of unrestrained brutality.
Unavoidable ritual of initiation torture
With no education and no intellectual aptitude worth speaking of, he relies on friends from the Tehran underworld; people with threatening names such as Shabun "No brain", Aziz "the sparrow hawk" and Hassan "the spinning top"; men who know the black market like the backs of their hands and whom Keramat serves with unwavering loyalty after the unavoidable ritual of initiation torture during which the leader of the gang marks him with a branding iron and subsequently abuses him.
The author tells the reader about Keramat's contaminated past before the novel actually begins. At the front of the book is a tabular curriculum vitae containing the key points in Keramat's life (1929: born in a remote village; 1941: he runs away from home and makes his way to Tehran, where he is abused by a low-ranking English officer etc.) and pivotal political events (1953: active involvement in the CIA-backed coup d'état against Mohammad Mosaddegh to the benefit of the Shah; 1978/79: the Islamic Revolution against the Shah and Keramat's active participation in it; 1980: outbreak of the Iran-Iraq war).
In this way, the points at which Keramat's life and the turning points in recent Iranian history overlap are served up to the reader in succinct form, like an aperitif.
Nevertheless, the permeation of Keramat's personal history with the official history of the country does not make this a political novel in the strictest sense of the word. Although Cheheltan believes – as he recently emphasised at a reading at the International Literature Festival in Berlin – that every novel has a political dimension, his primary focus is on the exact observation and recording of details.
The pulsating metropolis that is Tehran, life on the streets, the illumination of advertising at night, the attraction of the crowded cinemas where Keramat also goes to watch cheesy romantic films are as important to the author as Keramat's many sexual encounters and his numerous relationships with prostitutes, to whom his pronounced masculinity drives him on an almost daily basis.
Far from using his rough-and-ready hero simply as a vehicle for the ideas of the story, Cheheltan shows Keramat to be a human being made of flesh and blood, a man who oscillates between macho demonstrations of power and growing uncertainty in Teheran's society.
Haunted by the victims
At the start of the novel, we encounter Keramat as a 60-year-old father. He has a house and children and earns a good living.
Nevertheless, he feels isolated and burned out, and is tortured by nightmares in which his victims hunt him down. He is barely able to make it through a "normal" working day at the prison. More than anything else, he yearns for one woman: the high-class hooker Tala, the one true love of his life. She left him, but suddenly called him up again ten years after walking out on him.
The author has imbued the ambivalent main character with a whole arsenal of different leanings and characteristics, making it hard to pass fair judgement on him. On the one hand, Keramat is a primitive, corrupt servant of power who knows how to grasp an opportunity and changes political sides when necessary in order to remain on the side of the powerful. On the other, he sees himself as a representative of the people, whose conservative values lead him to empathise with the weak and to take action.
Cheheltan emphasises that there is something of a modern "Robin Hood" in this picaresque character, who sees himself as a noble saviour despite the fact that he knows he is deeply embroiled in blame that will haunt him for the rest of his life.
The "open wound" of Tehran
Speaking during the panel discussion at the International Literature Festival, Cheheltan said that his primary intention had been to write a story about the mentality of the Iranian capital in which the "open wound" of Tehran plays a central role. Keramat is the typical representative of a certain class that reflects the dark, violence-prone side of this city.
According to Cheheltan, the capital has always played a special role in the history of the country, which is so characterised by change; it is both a melting pot and an intersection, a place from where, following waves of migration, the fortunes of the country have been steered, among other things by people like Keramat, who in their helplessness cling on to old film images of a supposedly perfect world – a world in which women only appear as either subordinate creatures or prostitutes.
The fact that the author's wide-ranging intentions do not result in a cramped style of writing is due to the poetically sound, paratactically clear language he uses, a language that does justice to the shift in different levels and always finds the right level of style not only for the people on the street, the prostitutes, and the countless underworld figures, but also for the upper classes, where Keramat feels so dreadfully out of place, the parvenus and the academics.
A criminal with sensuality and sensitivity
It requires a lot of literary skill to imbue a professional criminal like Keramat with sensuality and sensitivity. "He loved the summer. For him, summer meant the animal smell of women, the smell of moist, sweaty groins, the smell of bitter-tasting mouths and half-opened lips, the smell of beads of sweat running down alabaster necks."
Cheheltan's novel has so far only been published in a censored and abridged version in Persian and Arabic. In the now published German version, translator Kurt Scharf writes that as in the original, he decided not to use dialect in the German version and instead gave the characters a colloquial language that provided, as required, everything from simple to vulgar expressions. The result is a fluid, gripping literary kaleidoscope depicting one of the most exciting cities in the world.
Volker Kaminski
© Qantara.de 2012
Translated from the German by Aingeal Flanagan
Editor: Lewis Gropp/Qantara.de
Die dunkle Seite Teherans
16 October 2012In seinem neuen Roman "Teheran, Stadt ohne Himmel" beschreibt Amir Hassan Cheheltan den Lebensweg eines Außenseiters, der als entwurzelter, elternloser Heiminsasse in die iranische Hauptstadt kommt und schließlich Direktor eines Foltergefängnisses wird. Volker Kaminski hat das Buch gelesen.
Keramat, die Hauptperson in Amir Hassan Cheheltans abschließenden Band seiner Teheran-Trilogie, ist zwielichtig. Dennoch geht es dem Autor nicht um eine moralische Verurteilung der dunklen und gewaltbereiten Seite Teherans, vielmehr dient er ihm dazu, die Widersprüche der iranischen Metropole aufzuzeigen, die diese in ihrer von Revolutionen und Brüchen erfüllten Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts prägen.
Keramat ist eine Romanfigur, die man nicht so schnell vergisst. Er ist von riesiger Statur, trägt einen mächtigen Schnurrbart und neigt auf Grund seiner herkunftsbezogenen Ressentiments zu ungehemmter Brutalität.
Da er weder Bildung noch geistige Begabung besitzt, ist er auf Freunde aus der Teheraner Unterwelt angewiesen. Leute mit bedrohlich klingenden Namen: Schabun "ohne Hirn", Asis, "der Sperber" oder Hassan, "der Kreisel", Männer, die sich auf Schwarzmarkthandel verstehen und denen Keramat nach unvermeidlichen rituellen Initiationsqualen, bei denen ihn der Anführer der Bande mit einem Brandeisen markiert und hinterher missbraucht, mit unverbrüchlicher Treue dient.
Gefangen in Teherans Unterwelt
Obwohl Keramats Umfeld eng mit dem Unterweltmilieu in Verbindung steht, wird der Leser von brutalen Milieuschilderungen weitgehend verschont. Dies rührt vor allem von einem Einfall des Autors, durch den er den Leser schon vor dem eigentlichen Romananfang über Keramats belastete Herkunft informiert.
Dem Text vorangestellt ist ein tabellarischer Lebenslauf, der Fakten aus Keramats Leben (1929: Geburt in einem abgelegenen Dorf, 1941: Er flieht von zu Hause, schlägt sich nach Teheran durch und wird von einem englischen Unteroffizier missbraucht u.s.w.) neben politisch brisante Daten stellt (1953: Aktive Teilnahme am Staatsstreich der CIA gegen Mossaddegh zugunsten des Schahs… 1978/79: Die Islamische Revolution gegen den Schah und Keramats aktive Teilnahme daran… 1980: Beginn des Irakisch-Iranischen Krieges).
So werden dem Leser mit minimalstem Aufwand gewissermaßen als Aperitif die Nahtstellen gezeigt, an denen Keramats Schicksal mit den Wendepunkten der jüngeren iranischen Geschichte verknüpft ist.
Liebe zum Detail
Die Durchdringung der persönlichen Geschichte mit der offiziellen des Landes führt indes nicht zu einem politischen Roman im engeren Sinne. Obwohl Cheheltan – wie er jüngst bei einer Lesung auf dem Internationalen Literaturfestival in Berlin bekräftigte – glaubt, dass jeder Roman auch eine politische Dimension besitzt, gilt sein Augenmerk in erster Linie der genauen Beobachtung und dem Festhalten von Details.
Die pulsierende Metropole Teheran, das Leben auf den Straßen, das Leuchten der Reklamen in der Nacht, die Anziehungskraft der gut besuchten Kinos, in die auch Keramat einkehrt, um kitschige Liebesfilme anzuschauen, wird ihm dabei ebenso zum Gegenstand wie die vielen sexuellen Erlebnisse Keramats, seine zahlreichen Verhältnisse mit Prostituierten, zu denen ihn seine ausgeprägte Männlichkeit nahezutäglich treibt.
Weit entfernt, seinen wüsten Helden zum bloßen Ideenträger der Geschichte zu stempeln, lässt Cheheltan Keramat als Menschen aus Fleisch und Blut auftreten, der zwischen machohaftem Machtgehabe und wachsender Verunsicherung in der Teheraner Gesellschaft hin und her schwankt.
So steht Keramat am Anfang des Romans schon als sechzigjähriger Familienvater vor uns, er hat Haus und Kinder und ein gutes Auskommen, trotzdem fühlt er sich isoliert und ausgebrannt, er wird von Albträumen geplagt, in denen ihn seine Opfer heimsuchen, und ist kaum noch imstande, einen "normalen" Arbeitstag im Gefängnis durchzustehen.
Seine Sehnsucht gilt vor allem einer Frau, der Edelprostituierten Tala, seiner einzigen wirklichen Liebe im Leben, die ihn verlassen, aber nach über zehn Jahren plötzlich wieder angerufen hat.
In die ambivalente Hauptfigur hat der Autor ein ganzes Arsenal unterschiedlicher Tendenzen und Charakterzüge eingepflanzt, so dass es schwer fällt, Keramat gerecht zu beurteilen – einerseits ist er ein primitiver, durchaus korrupter Diener der Macht, der die Gunst der Stunde zu nutzen weiß und gegebenenfalls die politische Seite wechselt, um mit den Mächtigen zu sein. Andererseits sieht er sich als Vertreter des Volkes, dessen konservative Wertevorstellungen ihn mit den Schwachen fühlen und handeln lassen.
Cheheltan betont, dass in dieser "picaresken" Figur durchaus ein moderner "Robin Hood" steckt, der von sich selbst als edelmütiger Retter denkt, wenn er auch einsehen muss, dass er in tiefe Schuld verstrickt ist, die ihn für den Rest seines Lebens verfolgt.
Die "offene Wunde" Teherans
Es sei vor allem seine Absicht gewesen, so Cheheltan, eine Mentalitätsgeschichte der iranischen Metropole zu schreiben, in der "die offene Wunde" Teherans zentral ist. Keramat sei der typische Vertreter einer bestimmten Schicht, in der sich die dunklen, gewaltbereiten Seiten dieser Stadt widerspiegeln.
In der vom Wandel erfüllten Geschichte des Landes habe die Metropole immer eine besondere Rolle gespielt. Sie sei Schmelztiegel und Knotenpunkt, von dem aus in Folge großer Zuzugswellen die Geschicke des Landes bestimmt wurden: auch durch Leute wie Keramat, die sich in ihrer Hilflosigkeit an alte Filmbilder einer vermeintlich heilen Welt klammern – einer Welt, in der Frauen nur als untergeordnete Wesen oder als Prostituierte erscheinen – und diese so sehr verinnerlichen, bis sie eines Tages durch einen revolutionären Systemsturz traurige Wirklichkeit werden.
Dass diese breit gefächerten Intentionen des Autors nicht zu einem verkrampften Erzählton führen, verdankt sich der poetisch sicheren, klaren Sprache, die dem Wechsel der unterschiedlichen Ebenen gerecht wird und für die Leute auf der Straße, den Prostituierten und zahlreichen Figuren der Unterwelt, aber auch für die gehobene Bevölkerungsschicht, in der sich Keramat so unwohl fühlt, den Parvenüs und Akademikern, immer die passende Stillage findet.
Sinnlicher Berufsverbrecher
Einem Berufsverbrecher wie Keramat Sinnlichkeit und Empfindungsfähigkeit zu verleihen, dazu bedarf es schon eines großen literarischen Könnens: "Er liebte den Sommer. Für ihn bedeutete der Sommer den animalischen Geruch der Frauen, den Geruch nass geschwitzter Leisten, den Geruch von herb schmeckenden Mündern und halb geöffneten Lippen, den Geruch von Schweißtropfen, die an alabasterfarbenen Kehlen hinunterrinnen."
In das Lob einzuschließen ist die Leistung des Übersetzers Kurt Scharf, der seine Kriterien in einem interessanten Nachwort zusammenfasst, aus dem auch hervorgeht, dass Cheheltans Roman bisher nur in einer zensierten und gekürzten Ausgabe auf persisch und arabisch erschienen ist.
Er habe, so der Übersetzer, auf den Einsatz von Dialekt (wie im Original) im Deutschen verzichtet und den Figuren eine Umgangssprache verliehen, in der sich auch je nach Erfordernis einfache bis ordinäre Ausdrücke finden. Herausgekommen ist ein flüssig geschriebenes und ergreifend zu lesendes literarisches Kaleidoskop einer der aufregendsten Hauptstädte der Welt.
Volker Kaminski
© Qantara.de 2012
Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de
Amir Hassan Cheheltan: "Teheran. Stadt ohne Himmel." Aus dem Persischen übertragen und mit einem Nachwort von Kurt Scharf, ISBN 978-3-406-63943-2, C.H. Beck-Verlag, München 2012
Teheran, Stadt ohne Himmel
15 October 2012Wo sind nur die jungen, edlen Ritter?
Gefangen in einem Teufelskreis: Mit dem beklemmenden Roman „Teheran, Stadt ohne Himmel“ beendet der iranische Schriftsteller Amir Hassan Cheheltan seine Teheran-Trilogie
Als der iranische Präsident Ahmadinedschad Ende September vor der UNO in New York wieder einmal Israel angriff, begründete er das mit der Kultur. Ob es mit der islamischen Zivilisation, die er vertritt, so viel besser bestellt ist, lässt sich freilich bezweifeln. Jedenfalls solange man dem Bild traut, das die iranische Intelligenz von ihrem Land zeichnet.
Literarische Produkte sollte man nicht wie Sozialstudien lesen. Doch mit seiner Teheran-Trilogie hat der 1956 auch dort geborene Amir Hassan Cheheltan, ein gelernter Elektrotechniker, so etwas wie ein Psychogramm seiner Heimat vorgelegt, das es in sich hat. Nicht umsonst spielen „Teheran, Revolutionsstraße“, „Amerikaner töten in Teheran“ und „Teheran, Stadt ohne Himmel“ alle in der 16-Millionen-Metropole. Die darin, bei aller Detailtreue, durchaus als Metapher steht: ein Moloch zwischen Tradition und Moderne, Moral und Doppelmoral, Aufklärung und Aberglaube.
Und Cheheltan müsste seine fiktiven Geschichten auch nicht so präzise historisch verorten. Vom Ende der Dynastien bis zur erodierenden Theokratie: Ihr zeitlicher Horizont reicht vom Beginn des letzten Jahrhunderts bis in die unmittelbare Gegenwart. Auch für den Iran war das 20. Jahrhundert ein Zeitalter der Extreme: „100 Jahre Krise“ nannte Cheheltan die Abfolge blutiger Umstürze einmal. Im Mittelpunkt steht immer das große Trauma: der CIA-Putsch gegen den gewählten Premier Mossadegh im August des Jahres 1953.
Den zivilisatorischen Zustand seiner Heimat arbeitet Cheheltan aber vor allem über seine Protagonisten heraus. Von denen viele in allen drei Bänden auftreten, mitunter in textgleichen Passagen. So entfaltet Cheheltan ein Panorama ineinander verflochtener Schicksale. Und spiegelt die große Geschichte in der kleinen, individuellen.
Held von „Teheran, Stadt ohne Himmel“, Cheheltans viertem Roman, ist Keramat. 1929 in einem Provinzdorf geboren, arbeitet er sich in der Hauptstadt vom Obstverkäufer über das Rotlichtmilieu bis zum Direktor des berüchtigten Evin-Gefängnisses empor, in dem schon in „Teheran, Revolutionsstraße“ so viele Hoffnungen endeten.
Den Untertitel „Eine Chronologie von Albtraum und Tod“ hat Cheheltan nicht umsonst gewählt. Mit unerbittlicher Empathie folgt Cheheltan der Perspektive seines trostlosen Helden. Aus der er das Bild einer traumatisierten Gesellschaft ableitet, die an ihren inneren Widersprüchen erstickt.
Erst marodiert Keramat als Schläger für den Schah, später für die Mullahs. Wie sehr in dieser Welt die moralischen Maßstäbe auf dem Kopf stehen, zeigt sich daran, dass die Verbrecherbanden, zu deren Mitglied Keramat wird, sich als Ordnungsmacht begreifen. „Wo waren sie nur, die jungen, edlen Ritter, die die Ehre der Menschen vor den Klauen teuflischer Schurken beschützten“, murmelt der selbsternannte Rächer vor einem seiner Einsätze erbittert.
Die Geschichte schildert die letzten 24 Stunden im Leben dieses Mannes. Sie beginnt, als plötzlich eines Tages, Keramat ist längst verheiratet und hat drei Kinder, seine ehemalige Geliebte Tala auftaucht. Das löst bei dem Schergen der Diktatur eine Art verklärende Selbstreflexion aus. In diesen Erinnerungsschüben kehrt immer wieder ein Bild zurück, das sich auch wieder kaum anders als metaphorisch lesen lässt. Mit dem zwölfjährigen Jungen, den ein englischer Unteroffizier da an einem Tag des Jahres 1941 auf offener Straße sexuell missbraucht, wird auch eine ganze Nation entehrt.
Die Lektüre von „Amerikaner töten in Teheran“ (2011) beschwerte noch das Übermaß an historischer Information. Mit dem beklemmenden „Teheran, Stadt ohne Himmel“ ist Cheheltan ein großes Buch gelungen, in dem er den Teufelskreis aus Gewalt, der Unfähigkeit zur Selbstkritik und der Inszenierung als Opfer, in dem das iranische System gefangen ist, ganz in eine lebendige Person verlegt. Und aus dem Cheheltan, das deutet der Titel des Buches an, keinen Ausweg sieht – auch keinen metaphysischen.
Es gehört zu der Dialektik von Cheheltans beeindruckendem Werk, dass ausgerechnet das Bild düsterer Unzivilisiertheit, das er darin so kunstvoll zeichnet, dieZivilisationsbilanz des Iran ins Positive wendet.
Ingo Arend
Bild: Tehran Skyline with Milad tower, CC BY-SA 3.0 Original uploader was Amir1140 at en.wikipedia
Wo sind nur die jungen, edlen Ritter?
10 October 2012Unzivilisierte Zionisten“. Als der iranische Präsident Ahmadinedschad Ende September vor der UNO in New York wieder einmal Israel angriff, begründete er das mit der Kultur. Ob es mit der islamischen Zivilisation, die er vertritt, so viel besser bestellt ist, lässt sich freilich bezweifeln. Jedenfalls solange man dem Bild traut, das die iranische Intelligenz von ihrem Land zeichnet.
Ein Kopf wie ein Gefängnis
06 October 2012Amir Hassan Cheheltans Roman "Teheran, Stadt ohne Himmel" erscheint nun endlich unzensiert auf Deutsch. Wer begreifen will, wie zerrissen Iran innerlich ist, muss dieses Buch lesen. Von Swantje Karich Aghdass "hatte noch nie in ihrem Leben ein solches Gebrüll gehört. Kerâmat schob sich die Spitzen seines Schnurrbarts mit den Lippen zwischen die Zähne, lief im Zimmer umher, fluchte und stieß eine Flut von Verwünschungen aus." Kerâmat ist grausam (er knallt ohne Hemmungen Köpfe an Wände). Er ist infantil (er lutscht ...
Eine Chronologie von Albtraum und Tod
27 August 2012„Teheran. Stadt ohne Himmel“ bildet den Abschluss von Amir Hassan Cheheltans Trilogie um die iranische Hauptstadt. Auf Deutsch liegt der Roman nun erstmals ungekürzt und ohne Rücksicht auf die iranische Zensur vor. Die ersten Bände, „Teheran. Revolutionsstraße“ (P. Kirchheim, München 2009) und „Amerikaner töten in Teheran“ (C.H. Beck, München 2011), konnten in Iran bislang nicht erscheinen.
Obwohl alle drei Bücher auch unabhängig voneinander funktionieren, bilden sie doch zusammen ein komplexes und vielschichtiges Gesellschaftspanorama vor dem Hintergrund der tiefen historischen Einschnitte seit den zwanziger Jahren unmittelbar nach der Konstitutionellen Revolution. Im Zentrum stehen immer wieder der CIA-Putsch gegen Ministerpräsident Mohammed Mossadegh im Jahr 1953, der die aufkeimende Demokratie zerschlug und durch die prowestliche Militärdiktatur des Shahs ersetzte, sowie die Islamische Revolution von 1979, die in das bis heute bestehende theokratische Regime mündete. In jedem Buch legt Cheheltan andere Schwerpunkte, nimmt andere Blickwinkel ein, stellt andere Figuren in den Mittelpunkt und verquickt deren Schicksale mit minutiös recherchierten Darstellungen historischer Ereignisse. Am Ende greift alles ineinander wie bei einem großen Zahnrad, die Romane berühren sich in Einzelszenen, die sich in allen dreien nahezu wortgleich abspielen, nur um den Leser danach in gänzlich unterschiedliche Richtungen zu schicken. So lernt er nicht nur die pulsierende Millionenmetropole Teheran im Verlauf fast eines ganzen Jahrhunderts kennen, sondern taucht auch tief ein in die menschlichen Probleme, politischen Strömungen und alltäglichen Widrigkeiten, durch die sich ihre Bewohner kämpfen.
„Teheran. Stadt ohne Himmel“ stellt die Geschichte von Keramat in den Mittelpunkt, genauer gesagt: die letzten vierundzwanzig Stunden seines Lebens. Der Leser kennt ihn bereits aus „Teheran. Revolutionsstraße“, wo er als brutaler Wärter im berüchtigten Evin-Gefängnis auftrat – dort werden politische Gefangene festgehalten und nicht selten gefoltert und getötet. Es ist nicht das erste Mal, dass Cheheltan aus der Sicht der Täter erzählt und hierüber deren Doppelmoral und Dummheit entlarvt. Keramat wird Ende der Zwanziger in einem kleinen Dorf geboren, mit zwölf geht er nach Teheran und durchlebt eine Zeit von Armut und Gewalt. Er lebt auf der Straße, wird misshandelt und kommt in eine „Besserungsanstalt“. Dort lernt er Schläger und Gauner aus der Teheraner Unterwelt kennen. Er schließt sich ihnen an und wird zur großen Nummer, kontrolliert bald ganze Stadtviertel. Er strotzt vor Selbstbewusstsein, hält sich für beliebt bei den Frauen, doch er ist nichts weiter als ein primitiver Macho, der seine Probleme mit den Fäusten regelt. Beim Putsch gegen Mossadegh ist er an vorderster Front dabei, mobilisiert Schlägertrupps, ohne überhaupt zu begreifen, was da gerade passiert, woran er sich da beteiligt. In den Sechzigern lässt er sich das Antlitz des Shahs auf den Oberarm tätowieren, baut seine Macht aus, steigt in die Rotlichtszene ein. Als er Ende der Siebziger begreift, dass die Tage der Monarchie gezählt sind und Chomeini die Macht übernehmen wird, passt er sich schnell an. Auf der Straße lässt er Kommunisten, Shah-Anhänger und Chomeini-Gegner gleichermaßen verdreschen. Das neue Regime dankt es ihm und beschert ihm den hohen Posten im Folterknast.
Cheheltan erzählt all das nicht linear. Während des einen Tages, an dem der Roman spielt, taucht er in die Erinnerungswelt seines Protagonisten ein, in der reales Erinnern und Verklärung und nachträgliche Beschönigung verschwimmen. Was sich dahinter eröffnet ist ein Blick auf die Funktionalität von Diktaturen, die auch deswegen existieren können, weil es so anpassungsfähige Menschen wie Keramat zu Hauf gibt. Wem er dient, ist ihm im Grunde egal, Hauptsache er kann für sich selbst den größten Vorteil aus der Situation ziehen. Die eigenen Widersprüche und Lebenslügen werden einfach ausgeblendet.
„Teheran. Stadt ohne Himmel“ ist so faszinierend, intensiv und beklemmend wie seine Vorgänger, die komplette Trilogie nichts weniger als ein literarisches Meisterwerk, dessen Wirkung und Bedeutung weit über den historischen Kosmos der Geschehnisse in der iranischen Hauptstadt hinausreicht.
27.08.2012
Hamburg
Von Gerrit Wustmann
Klappentext
Aus dem Persischen übersetzt und mit einem Nachwort von Kurt Scharf. Kerâmat sieht gut aus, ist mutig und brutal. Mit zehn läuft er von zu Hause weg, geht nach Teheran und verkauft seinen Körper. Am Vorabend der Islamischen Revolution schließt er sich einer Gang an, die Bordelle betreibt und gegen unliebsame politische Versammlungen vorgeht. Aus dem Krieg zwischen Iran und Irak schlägt er Kapital, indem er einen Schwarzhandel mit Medikamenten und Lebensmitteln organisiert. Als Dank für die Zerschlagung oppositioneller Gruppen erhält Kerâmat nach der Revolution den Posten des Direktors in einem berüchtigten Gefängnis für politische Gefangene.
Mit Kerâmat macht Amir Hassan Cheheltan eine ambivalente Figur zum Helden seines neuen Buchs. In ihr kristallisieren sich die Widersprüche des heutigen Iran. Der Roman erscheint weltweit erstmals in ungekürzter Fassung - die Originalausgabe und die arabische Ausgabe konnten bislang nur zensiert erscheinen.
Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 18.10.2012
Verlegerfreundlich waren auch die ersten beiden Teile von Amir Hassan Cheheltans Roman-Trilogie über Teheran nicht, meint Hans-Peter Kunisch und fügt hinzu: der dritte macht da keine Ausnahme. Statt eines despotischen, krude moralisierenden Arztes liefere der Autor diesmal den Direktor eines Foltergefängnisses als Protagonisten. Anstrengungsloses Ein- und Wohlfühlen sieht anders aus, verspricht der Rezensent. "Teheran, Stadt ohne Himmel" erzähle die Geschichte des letzten Tages im Leben von Direktor Keramat. Die Figur sei ein radikaler Opportunist, berichtet Kunisch. Trotz einer Tätowierung vom Schah auf seinem Unterarm, helfe er ohne Zögern bei dessen Sturz, als es sich anbietet. Unheimlich ist dem Rezensenten, wie Cheheltan es schaffe, dass der Leser immer wieder an den Punkt komme, Keramat zu "verstehen" und über sich selbst erschrecken müsse. Einfühlen ohne Wohlfühlen scheint dem Rezensenten unangenehmer als komplette Distanz zu sein.
Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 10.10.2012
Mit seiner Teheran-Trilogie, die der vorliegende Band abschließt, zeichnet Amir Hassan Cheheltan ein trostloses Bild vom zivilisatorischen Stand seines Heimatlands Iran, notiert Ingo Arend. Anhand der Geschichte eines Mannes, der sich vom Obstverkäufer mit Zwischenstation im Rotlichtmilieu zum Gefängnisdirektor emporarbeitet, konturiert Cheheltan das Trauma des Putsches von 1953, das im Innern der iranischen Gesellschaft schlummere: Die "moralischen Maßstäbe stehen auf dem Kopf", bemerkt der von diesem im Zugriff auf die iranische Gesellschaft offenbar sehr schonungslosen Werk rundum beeindruckte Rezensent, der am Ende nicht umhin kann, gerade in der kunstvollen Schilderung der sozialen Verrohung dieses Landes dieselbe dialektisch aufgehoben zu sehen.
Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 06.10.2012
Warum dieser dritte Teil von Amir Hassans Trilogie über seine Heimatstadt Teheran als einziger im Original erscheinen durfte, nicht von der Zensur blockiert, wenngleich stark gekürzt, darüber kann Rezensentin Swantje Karich nur Vermutungen anstellen. Möglicherweise ist der kindlich-brutale Held in seiner fanatischen Begeisterung für die Islamische Revolution der Grund dafür. Das nun erstmals vollständig publizierte Buch macht es Karich nicht immer leicht, lässt Hassan seine Figur doch in männlich-rauhen, mal vulgären, mal pathetischen Tönen sprechen, wütend über sein Schicksal, das Schicksal eines früh Gedemütigten, und erzählt nicht chronologisch und auch stilistisch uneinheitlich in Teilstücken, wie wir erfahren. Als Parabel auf die traumatisierten Kinder der Welt funktioniert es laut Karich aber ganz gut.
Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 08.09.2012
Mit dem abschließenden Band seiner Teheran-Trilogie legt Cheheltan das "düsterste, pessimistischste und launigste" Werk in der Reihe vor, meint Rezensentin Astrid Kaminski, die angesichts dieser gnadenlos realistischen "Sezierung" der iranischen Gesellschaft und des Teheraner Regimes "das Fürchten" kriegt. Dem Leser allerdings empfiehlt sie, nicht der deutschen Veröffentlichungschronologie zu folgen: So sei der vorliegende Band eigentlich der erste und die Lektüre in der intendierten Reihenfolge auch "stringenter". Angesichts einiger Verbindungen zwischen Band 1 und Band 3 kann sich die Rezensentin zudem gut vorstellen, dass der Autor das Buch eigens für die deutsche Ausgabe noch etwas überarbeitet hat.
Mit dem abschließenden Band seiner Teheran-Trilogie legt Cheheltan das "düsterste, pessimistischste und launigste" Werk in der Reihe vor, meint Rezensentin Astrid Kaminski, die angesichts dieser gnadenlos realistischen "Sezierung" der iranischen Gesellschaft und des Teheraner Regimes "das Fürchten" kriegt. Dem Leser allerdings empfiehlt sie, nicht der deutschen Veröffentlichungschronologie zu folgen: So sei der vorliegende Band eigentlich der erste und die Lektüre in der intendierten Reihenfolge auch "stringenter". Angesichts einiger Verbindungen zwischen Band 1 und Band 3 kann sich die Rezensentin zudem gut vorstellen, dass der Autor das Buch eigens für die deutsche Ausgabe noch etwas überarbeitet hat.