Teheran Revolutionsstraße (Novel)
Description
Der Aufstieg eines zwielichtigen Operateurs von Jungfernhäutchen zum Klinikchef, der sich in eine seiner Patientinnen verliebt, ist Ausgangspunkt für ein Sittenbild der iranischen Gesellschaft, deren politische, wirtschaftliche und soziale Zwänge und Verwerfungen ein junges Liebespaar auf grausame Weise scheitern lassen. „Teheran Revolutionsstrasse“, der in Teheran nicht veröffentlichte Roman Cheheltans, porträtiert den unbekannten Alltag von Menschen der Teheraner Megacity.
By P. Kirchheim
Parts Of Book : DOWNALOAD
Reviews
Kein Himmel über dem Gottesstaat
13 April 2013Zuversicht kommt nicht auf, wenn man die in den letzten Monaten auf Deutsch erschienenen iranischen Romane Revue passieren lässt. Sie geben Einblick in eine von Geschichte und Gegenwart gleichermassen desillusionierte Gesellschaft.
Auch Irans Revolution verschlang ihre Kinder: Prothesen von im Irakkrieg Versehrten. (Bild: Jean Gaumy / Magnum)
Mit seinen nuklearen Ambitionen und den rhetorischen Ausfällen des Staatspräsidenten Mahmud Ahmadinejad, mit seiner Obstruktionspolitik auf dem internationalen Parkett und seinen immer wieder an den etablierten Machtstrukturen scheiternden Revolten und Reformversuchen beschäftigt Iran jahraus, jahrein die hiesigen Medien. Die Literatur des Landes aber kommt sogar auf dem für übersetzte Werke besonders offenen deutschsprachigen Markt nur tröpfchenweise an. So mag es sich lohnen, die etwas grössere Zahl iranischer Werke, die in den letzten Monaten erschienen sind, einer Gesamtschau zu unterziehen – der als sprechendes Detail die Merkwürdigkeit anhaftet, dass ein Gutteil der Bücher iranischen Lesern entweder gar nicht, nur in zensierter Form oder erst mit massiver Verzögerung zugänglich gemacht wurden.
Die Männer
So verhält es sich etwa mit der Teheran-Trilogie des 1956 geborenen Amir Hassan Cheheltan. «Teheran, Stadt ohne Himmel», im Herbst 2012 als letzter Band der Trilogie auf Deutsch erschienen, ist zugleich deren erster: Das Buch wurde in der etwas liberaleren Regierungszeit Präsident Khatamis in einer zensierten Ausgabe auf Farsi publiziert, die integrale Fassung aber durfte, wie auch die beiden anderen Bände, in Iran nicht erscheinen. Inhaltlich verschränkt sich «Stadt ohne Himmel» mit «Teheran, Revolutionsstrasse», das 2009 als erstes Werk Cheheltans auf den deutschen Markt kam.
Im Zentrum der Romane stehen opportunistische Wendehälse, die sich von den Gezeiten der Geschichte aus dürftigster Abkunft in die Zentren der Macht tragen lassen. Kerâmat, der sich zu Beginn von «Stadt ohne Himmel» im Teheran der 1940er Jahre als Strassenkind durchschlägt und seinen Hunger manchmal nur stillen kann, indem er einem britischen Offizier den Hintern bietet, wird sich als politischer Agitator je nach Laune in die Dienste des Schahs oder des 1953 mithilfe des CIA gestürzten Premierministers Mossadegh stellen. Seine wechselnden Geliebten nützt er ohne Scham aus, und nach der Islamischen Revolution führt er als bereits gemachter Mann ein hübsches Doppelleben: In allerhand illegale Aktivitäten verwickelt, ist er zugleich Leiter des Evin-Gefängnisses.
In diese real existierende Folterhölle gibt «Teheran, Revolutionsstrasse» vertieften Einblick. Auch hier stehen zwielichtige Figuren im Zentrum: Der Mediziner Fattah ist während der Islamischen Revolution vom Spitalgehilfen ziemlich plötzlich zum «Doktor» avanciert, der seine Kenntnisse auch für «kreative Lösungen» zur Eliminierung politischer Gegner zur Verfügung stellt; sein Vermögen im Gottesstaat macht er aber hauptsächlich durch die Restitution vorzeitig lädierter Jungfernhäutchen. Sein Widerpart – weniger zynisch, doch in seiner unreflektierten Doppelgesichtigkeit nicht minder unheimlich – ist der Gefängniswärter Mustafa, der in Kerâmats Diensten die politische Gefangene Manijeh peinigt und gleichzeitig mit aller Macht seines schlichten Herzens um die schöne Schahrsad wirbt, die unglücklicherweise auch Fattahs Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat.
Der in diesen Romanen spürbare Dégoût an Irans Vergangenheit und Gegenwart ist angesichts der realen Verhältnisse im Land nachvollziehbar, der Fokus der Bücher aber doch sehr eng; die Möglichkeit, einmal einen Schritt aus dem Sumpf von Korruption und überhitzter männlicher Sexualität zu tun – etwa durch eine differenziertere Ausarbeitung der Figuren Manijeh und Schahrsad –, nimmt Cheheltan nicht wahr. Insofern ist «Amerikaner töten in Teheran», der mittlere Band der Trilogie, auch deren gelungenster Teil. Sechs Erzählungen umspielen anhand von teils realitätsnah erzählten, teils imaginativ ausgearbeiteten historischen Episoden das doppeldeutige Titelthema. Den Auftakt macht die Ermordung des amerikanischen Vizekonsuls Robert Imbrie durch einen religiös fanatisierten Mob im Juli 1924 – eine Geschichte gegenseitiger kultureller Missverständnisse, die sich mit fataler Logik bis zur Hetzjagd auf Imbrie und seinen Gefährten steigert. Erstaunlich ungeschickt ist im Vergleich zu diesem packenden, wenn auch schwer erträglichen Text die längste Erzählung gebaut, die dem für Iran traumatischen Putsch gegen Mossadegh gewidmet ist: Cheheltan rutscht hier über lange Strecken ins trockene Rapportieren historischer Fakten ab, auch wird der Text wegen der Vielzahl involvierter Akteure unübersichtlich und droht den dramatischen Bogen zu verlieren. Immerhin wird in jener Erzählung der Keim der Familiengeschichte gelegt, die vier weitere Texte verbindet: Während einer davon sein Faktenmaterial – das Attentat gegen ein von Amerikanern frequentiertes Lokal in Teheran – weitgehend hinter imaginierte Debatten und rätselhafte Ereignisse zurücktreten lässt, entwickeln die drei anderen die Biografie eines Mannes, der seine revolutionären Überzeugungen zweimal unter der Folter verrät. Insbesondere in den zwei letzten, unter die Haut gehenden Erzählungen dieses Komplexes zeigt Cheheltan das humane Sensorium, das man in den beiden Romanen vermissen mag.
Im 2009 erschienenen Roman «Der Colonel» hatte sich auch Mahmud Doulatabadi vom ländlich-rauen Milieu früherer Werke abgewandt und in der Konfrontation mit dem fortlaufenden Horror der iranischen Geschichte inhaltlich wie formal neue Wege gesucht. Entsprechend gespannt erwartete man nach diesem brisanten Buch des Grand Old Man der iranischen Literatur seinen neuen Roman «Nilufar». Deutlicher noch als «Der Colonel» steht dieses Werk in der Nachfolge Sadegh Hedayats, der als Bahnbrecher der literarischen Moderne Irans gilt: Die Geschichte einer obsessiven Liebe, die Doulatabadi von zwei immer wieder ineinander verschwimmenden Männerfiguren rapportieren lässt, weist verwandte Züge zu Hedayats Klassiker «Die blinde Eule» auf, erweitert aber dessen Szenario signifikant, indem die weibliche Hauptfigur nicht nur als Wunsch- oder Hassprojektion des Ich-Erzählers erscheint, sondern eine eigene Existenz, Identität und Stimme erhält. Anderseits wird der Protagonist Gheiss mit zwei arabischen Dichtern assoziiert, wobei in der deutschen Fassung diese Spur durch die Uneinheitlichkeit von persischer und arabischer Schreibweise des Namens zunächst verwischt wird: Dieser verweist auf den vorislamischen Kassidendichter Imru al-Qays wie auch auf Qays ibn al-Mulawwah, die männliche Hauptfigur der berühmten, vom persischen Dichter Nizami in Verse gesetzten Liebesgeschichte von Majnun und Leila. Solche Bezüge wahrzunehmen, setzt einen gewissen Kenntnisstand voraus; und noch dann helfen sie nicht ganz über die Tatsache hinweg, dass der Roman – streckenweise in sich kreisend, ohne dabei den mahlstromhaften Sog der «Blinden Eule» zu entwickeln – hinter seinen literarischen Vorbildern wie auch dem düster-brillanten Vorgängerwerk zurückbleibt.
Die Frauen
Unter den hier vorzustellenden Büchern stellt Fariba Vafis Roman «Kellervogel» insofern eine Ausnahme dar, als er nicht nur – ebenfalls in der Ära Khatami – in Iran erscheinen konnte, sondern dort auch mit Preisen geehrt und über 26 000-mal verkauft wurde. Das verdankt sich wohl nicht zuletzt der Ausblendung direkter Systemkritik; die Freuden des Familienlebens allerdings werden in dieser aus weiblicher Sicht erzählten Geschichte gründlich demontiert. Das Vergnügen am eigenen Haus, in das die Protagonistin mit Mann und Kindern zu Beginn einzieht, schwindet binnen kurzem; die Frau hockt in der Küche, nichts als Mauern im Blick und im Nacken die Schuldgefühle, dass sie ihren Vater auf dem Sterbebett im Stich gelassen hat. Ihres Mannes ist sie ebenso überdrüssig wie der mit der Ehe verbundenen gnadenlosen Festschreibung auf die Mutterrolle: «Bist du einmal verheiratet, wird als Erstes eine grosse Uhr in deinem Schlafzimmer aufgehängt, und man zählt die Stunden, bis die frohe Botschaft erklingt.»
Neben diesem leise erzählten Roman, der aber – darauf weist der Zuspruch beim heimischen Publikum hin – einiges mit dem realen Lebensgefühl der iranischen Frauen zu tun haben dürfte, wirkt Monireh Baradarans kürzlich wiederaufgelegtes «Erwachen aus dem Albtraum» wie ein Schlag ins Gesicht. Die 1955 in eine politisch engagierte Familie geborene Autorin kam 1981 für neun Jahre in Haft und hat dabei alles erlebt: die Folter und die kleinen Alltags-Grausamkeiten – wobei diese körperlichen Übergriffe in groteskem Kontrast zur geltenden Regel standen, dass weibliche Häftlinge, wurden sie mit verbundenen Augen zum Verhör gebracht, vom Wärter nur mithilfe eines Bleistifts geführt werden durften, damit sich Männerhand und Frauenhand nicht direkt berührten. Baradaran hat Mitgefangene unter der Tortur schreien gehört, sie auf allen Vieren im Dreck zur Toilette kriechen sehen, weil die grausamen Versehrungen an Beinen und Füssen den aufrechten Gang verunmöglichten, hat mehr als eine seelisch brechen oder am Wundbrand sterben sehen. Doch ihr Buch packt einen umso mehr, weil es auch der Erfindungskraft Raum gibt, mit der die Frauen nicht nur – durch abgezirkelte Bewegungsprogramme in den überbelegten Zellen, durch Debatten und Sprachkurse – Leib und Geist übten, sondern auch die Freude in die Kerkermauern lockten. Abgetragene Kleider wurden aufgedröselt, aus Stoffstücken und Fäden neue Kleidungsstücke oder Stickereien gezaubert; aus getrocknetem, geriebenem Brot, Zucker und gehorteter Butter fertigte man Kuchen zu den Festtagen, die mit Tanz und Gesang zelebriert wurden. Dabei kaschiert Baradaran auch nicht die Tatsache, dass solche Solidarität oft auf die eigene ideologische Gruppierung beschränkt blieb, dass immer wieder Mitgefangene unter dem Druck zusammenbrachen und zu «Tawwabs», zu bigotten Spitzeln und Handlangerinnen der Gefängnisleitung, wurden. Was hier in eher verhaltenem Ton rapportiert wird, stellt die Verlogenheit und Brutalität des iranischen Repressionsapparats in grelleres Licht, als es die wildeste Fiktion vermöchte.
Ende 1982 begegnete Baradaran im Gefängnis der ebenfalls inhaftierten Schriftstellerin Sharnush Parsipur, die schon zu Zeiten des Schahs den Unmut der Zensur auf sich gezogen hatte: Ihr Ende der siebziger Jahre verfasstes Buch «Frauen ohne Männer» blieb lange verboten und erschien erst 1990 auf Farsi. Kinogängern dürfte der ins Surreale ausgreifende Roman, der fünf Frauen aus unterschiedlichsten Lebensverhältnissen in einem Landhaus mit grossem, verwildertem Kirschgarten zusammenführt, aus Shirin Neshats bildstarker Verfilmung bekannt sein; nun liegt bei Suhrkamp auch das Buch samt einem 2011 verfassten Nachwort der Autorin vor. In seiner Eigenwilligkeit korrespondiert dieser Begleittext bestens mit dem Erzählgeschehen des Romans, in dem sich eine Frau in einen singenden Baum verwandeln, eine entlaufene Prostituierte eine Seerose gebären oder eine Ermordete sich aus dem Grab erheben und mit der Gier eines Ogers über den vollen Kochtopf herfallen kann. Obwohl dieses rätsel- und zauberhafte, manchmal auch grausame und ins Herz schneidende Buch am anderen Ende des Realitätsspektrums angesiedelt ist als Baradarans Erinnerungen, fesselt und berührt es nicht minder.
Die Kinder
Nachgerade leichtherzig mutet im Vergleich mit solcher Kost zunächst Hamid Ziaratis «Fast zwei» an. Der 1966 geborene Schriftsteller lebt seit 1981 in Italien und schreibt italienisch; die Handlung seines Romans setzt noch vor der Islamischen Revolution ein und gibt dem Lausbuben Darioush etlichen Raum, sich zu produzieren und zu entfalten. Seine stolze Staffel von dreiundachtzig zahmen Tauben ist Darioush ungleich wichtiger als die Islamische Revolution und ihre Folgen; dem Leser bescheren die betreffenden Passagen einen reizvollen Blick auf ein sehr spezielles Stück Leben über Teherans Dächern. Doch allmählich holt der Gottesstaat den Heranwachsenden ein; hin und her gerissen zwischen zwei Lehrern – fromme Männer beide, doch der eine davon harsch und doktrinär –, gerät er in den Bann des Glaubenseifers, meldet sich schliesslich im Krieg gegen den Irak als Freiwilliger und schleppt seinen besten Freund mit ins Inferno an der Front. Der Versuch, der noch kindlichen Perspektive des Ich-Erzählers gerecht zu werden, lässt den ersten Teil des Romans stellenweise etwas unausgewogen und oberflächlich erscheinen; im letzten Drittel allerdings mutet es an, als habe Ziarati seine Leser mit Absicht eingelullt, um ihnen ein umso grausigeres Erwachen in der Kriegsrealität zu bescheren. Damit füllt dieser Roman nicht zuletzt eine besonders entsetzliche historische Leerstelle aus: Er setzt den zahllosen Kindern und Jugendlichen ein Denkmal, die im Golfkrieg mit einem aus Plastic gefertigten «Schlüssel zum Paradies» um den Hals über verminte Felder gescheucht und den Irakern als Kanonenfutter vorgeworfen wurden.
„Eine wunderbar nüchterne Übersetzung“ war das erste was mir beim Lesen des Buches Teheran Revolutionsstrasse von Amir Hassan Cheheltan durch den Kopf ging. Kein Versuch gestelzt blumig zu übersetzen wenn die Metaphern auch für sich sprechen; und gerade dadurch wirkt der klare nüchterne Schreibstil auch in der deutschen Übersetzung.Klar und Nüchtern ist auch die Be- und Umschreibung der klei-nen und großen Verbrechen in der Geschichte; die ‚kleinen‘ zwischenmenschlichen wie die großen des Shah-Regimes.Von Auslandsfahrten ist die Rede, von Kleidungsbündeln und weniger werdenden Gefangenen, wenn es eigentlich um den Mord an einer ganzen Generation von Iraner_innen geht.So genial bedrückend ist, wie eine Atmosphäre von Furcht und Gewalt geschaffen wird, die vor allem von ungesagtem lebt. Wie von Liebe gesprochen wird, wo Handlungen von Verach-tung sprechen und wo hoffnungsvoll Pläne geschmiedet wer-den, gegen alle Widerstände, die doch in einer einzigen großen Tragödie enden, die keiner der Protagonisten versteht, verste-hen kann.Und doch leidet man mit Ihnen, obwohl man sie gleichzeitig schütteln möchte. Man verachtet sie, weil man jeder der Figu-ren glaubt, auch denen, die meinen mit jedem Schreien, mit jedem Peitschenhieb, mit jeder Folter und mit jedem Leben, das sie auslöschen, dem viel beschworenen Paradies ein Stück nä-her zu kommen.Tragisch ist das ganze vor allem deshalb, weil es keine Liebes-geschichte ist, sondern um Macht geht; und besonders tragisch, weil es – obwohl Roman – so ähnlich doch der Realität ist.Und auch wenn man sich immer wieder fragt, wie der Reigen um Schahrsad und ihren zwei Werbern Dr. Fattah und Mustafa aussieht, so hat man doch den Eindruck, dass es eigentlich um etwas ganz anderes geht.Alles in allem also ein sehr lesenswertes Buch, das nichts von einer klassischen oder auch unklassichen Liebesgeschichte besitzt und dennoch einer solchen – wenn man sie denn so bezeichnen möchte – auf eine sehr tragische Weise einen Rah-men gibt.
Unbequeme Einblicke in das Menschliche
01 March 2010Ein Chirurg, der Jungfernhäutchen wieder zusammennäht, damit die Braut bei der Hochzeit „unberührt“ ist. Ein Wärter im berüchtigten Foltergefängnis Evin. Eine Junge Frau zwischen Tradition und Moderne. Aus dieser Dreiecksgeschichte strickt Amir Hassan Cheheltan einen Roman, der tief in die Probleme der iranischen Gesellschaft blickt.
Amir Hassan Cheheltan lebt zur Zeit mit Hilfe eines Stipendiums des DAAD in Berlin. Erst vor zwei Jahren wurde ihm in Iran für sein Buch „Iranische Morgenröte“ der nationale Buchpreis verliehen. Als Ehre empfindet er das nicht. Er hat sich dagegen gewehrt, von einer staatlichen Institution ausgezeichnet zu werden, die seine Arbeit zensiert und ihm verboten hat, öffentlich aufzutreten. Es half nichts. Der Preis werde dem Buch verliehen, nicht dem Autor, so war die Vergabe des Preises begründet worden. Cheheltan, 1956 in Teheran geboren, hat zwei Diktaturen erlebt. Die des Shah und seit 1979 die der Mullahs. Er schreibt seit Jahren für die Frankfurter Allgemeine Zeitung über die Situation in Iran. Eine Situation, die sich unter Präsident Mahmud Ahmadinejad und dann noch einmal nach den Wahlfälschungen im vergangenen Sommer verschärft hat.
„In jeder iranischen Familie gibt es Menschen, die wissen, wie die Gefängnisse des Regimes von innen aussehen“, sagt er melancholisch bei einer Lesung im Kölner Literaturhaus Anfang Mai. Er spricht leise und lächelt oft, aber immer wenn er von Iran spricht ist es ein trauriges Lächeln. Gerade ist sein aktueller Roman „Teheran. Revolutionsstraße“ in Deutschland erschienen. Und nur dort. Bei der Zensurbehörde in seiner Heimatstadt hat er das Buch gar nicht erst zur Prüfung eingereicht. Es hätte keine Chance gehabt. Es ist ein Buch aus der Perspektive der Täter. Die Handlung spielt in den Neunzigern, nach dem Krieg, vor Ahmadinejad. Der Protagonist Fattah ist ein schleimiger, doppelmoralischer Widerling. Er näht Jungfernhäutchen wieder zusammen, und wenn er bei der teuren und geheimen Operation im Keller seiner Klinik einen Preisnachlass gewährt feiert er sich selbst als großen Gönner. Vorehelicher Geschlechtsverkehr kann unter der Herrschaft der Mullahs zu mehr als einem kleinen Problem werden.
Eines Tages erkennt er in seiner Patientin Shahrsad seine unerwiderte Jugendliebe wieder. Oder glaubt es zumindest. Um herauszufinden, wo sie wohnt, fährt er sie nach Hause. Nur kurz zuvor hatte er sie im Operationssaal als Hure beschimpft, die sich mit Jungs rumtreibt. Erst später erfährt er, dass bereits ein anderer um ihre Hand anhält. Mustafa ist jünger als Fattah, im Gegensatz zu ihm, der ihr Vater sein könnte, würde wenigstens der Altersunterschied stimmen. Shahrsads Mutter ist arm, vom Stiefvater kommt keine Unterstützung, die Brautgabe kann sie gut gebrauchen. Also fragt sie nicht weiter nach, als sie erfährt, dass Mustafa im Gefängnis arbeitet. Für die Regierung. Ein ehrbarer Job.
Mustafa ist Wärter im berüchtigten Teheraner Foltergefängnis Evin. In der Frauenabteilung. Nur zu gern erfüllt er seine Pflicht, wenn sein Vorgesetzter Keramat ihm befielt, eines der Mädchen krankenhausreif zu schlagen. Aber um Mustafa macht sich Fattah keine allzu großen Sorgen. Er ist der wohlhabendere der beiden Bewerber, und im Zweifelsfall nimmt er sich einfach, was er will. Als er Shahrsad vergewaltigt bietet er ihr an, alles wieder zu vernähen. Nochmal. Überhaupt: Was hat Mustafa ihm entgegenzusetzen? In den Tagen der Revolution gehörte Fattah den Milizen an, die Wohnungen stürmten und politische Gegner wenn nötig auch mal so lange mit dem Kopf gegen die Wand hämmerten, bis sie tot waren.
Es gibt viele Bücher, die aus der Perspektive der Opfer die Situation in Evin beschreiben, generationsübergreifend. Ein Roman aus Sicht der Täter, die sich keiner Schuld bewusst sind, ist neu, ist ein Wagnis, auch für einen Autor, der im Ausland publiziert. Er beschreibt eine Gesellschaft, die unter dem Druck eines menschenverachtenden und verlogenen Regimes zerbricht. Er beschreibt Täter, die genauso sind wie alle Täter der Welt: Seelische Krüppel, beschränkte Persönlichkeiten, die sich in den Dienst einer Ideologie stellen, die ihnen eigenständiges Denken und Leben abnimmt und ihnen völlige Willkür erlaubt.
Zu Recht wurde das Buch deutschlandweit im Feuilleton gelobt. Auch wenn es sprachlich hier und da etwas holprig wirkt (was vermutlich an der Übersetzung liegt), entwickelt es schnell einen Sog, der den Leser nicht mehr loslässt. Es ist einer dieser Einblicke in Wahrheiten des Menschlichen, die zwar niemand sehen will, denen sich aber jeder stellen muss.
23.05.2010
Von Gerrit Wustmann
"Teheran Revolutionsstraße" die Gesellschaft des Iran
09 February 2010Anhänger und Ausgelieferte IRAN Sarkastisch und drastisch schildert Amir Hassan Cheheltan in seinem großartigen Roman "Teheran Revolutionsstraße" die Gesellschaft des Iran
die tageszeitung vom 09.02.2010 / Kultur
IRAN Dieses Buch ist in mehrfacher Hinsicht ungewöhnlich. Der Roman wurde in persischer Sprache geschrieben, aber zuerst auf Deutsch veröffentlicht; das Original kann aus politischen Gründen vorerst nicht in Iran erscheinen. Dafür ist das Buch hierzulande so erfolgreich, dass der Verleger es bereits wenige Wochen nach seinem Erscheinen in einer zweiten Auflage herausbrachte. Ungewöhnlich ist das Buch auch deshalb, weil der Autor das Geschehen aus der Sicht der Personen darstellt, die er kritisiert. Er versetzt sich in die Anhänger der islamischen Revolution. Dank Ironie und Sarkasmus ist "Teheran Revolutionsstraße" trotz aller Bitterkeit nicht nur packend und bedrückend, sondern auch unterhaltsam. Bezeichnend ...
MANN DER LEISEN WORTE
11 January 2010Amir Hassan Cheheltans Bücher erscheinen im Iran meist zensiert. Wie weit seine Regimekritik geht, zeigt sein in Deutschland veröffentlichter Roman »Teheran Revolutionsstraße«. Über einen höflichen Dissidenten, den seine internationale Bekanntheit schützt.
Amir Hassan Cheheltan (53) lebt in diesem Herbst dank eines DAAD-Stipendiums in Berlin. Dort stellte er kürzlich seinen neuen Roman »Teheran Revolutionsstraße« vor. Höflich beantwortete er Fragen wie zum Beispiel: »In dem Buch spielen viele Szenen im Teheraner Evin-Gefängnis. Woher kennen Sie eigentlich die Zustände dort so genau?« Seine Erklärung: »Es gibt in Teheran kaum eine Familie, von der nicht irgendein Mitglied dort gesessen hat. Nichts ist einfacher, als Augenzeugen dafür zu finden.«
Cheheltan tritt leise auf. Er ist genau der Typ Iraner, von dem Europäer erklärt bekommen möchten, was in seinem Land eigentlich los ist. Seit 2004 schreibt er Kolumnen in der »FAZ«. Darin berichtet er vom absurden Alltag daheim, wo man die Bürger bis in die kleinsten Einzelheiten ihres Privatlebens gängelt. Die politischen Exzesse der letzten Zeit betrachtet er als Krämpfe, die sein Land auf dem Weg in die Moderne schütteln. Auf diesem Weg möchte auch er nicht alles kritiklos vom Westen übernehmen, doch mehr noch kritisiert er das Regime der Mullahs.
Seine bislang sechs Romane erschienen im Iran nur mit großer zeitlicher Verzögerung, voller Streichungen und Änderungen. Bemäkelten die Zensoren einmal nichts, so deshalb, weil Cheheltan seine Aussagen zwischen den Zeilen versteckte. »Teheran Revolutionsstraße« schrieb er ohne diese Schere im Kopf. Das Buch erscheint zunächst in Deutschland. In seiner Heimat wäre es undenkbar.
Immer wieder geht es in dem Roman um Heuchelei. Protagonisten sind der chirurgische Autodidakt Fatah, spezialisiert auf die Wiederherstellung zerstörter Jungfernhäutchen und in eine seiner Patientinnen verliebt, der Gefängnisdirektor Keramat und sein Angestellter Mustafa. Schon ein schiefer Blick auf ihre Mütter könnte die drei zur Weißglut bringen. Die ihnen aber jeweils anvertrauten jungen Frauen beschimpfen sie unflätig und quälen sie mit Fleiß. Fatah, indem er die Jungfernhäutchen schmerzhafter wieder zusammennäht als nötig, die beiden anderen foltern und töten im Evin-Gefängnis.
Der Roman lässt Teheran lebendig werden, so zum Beispiel den Platz Ssabse Maydan: »Schuhläden und Straßenhändler, die grobe Waschhandschuhe, sprechende Ziervögel und Viagra-Pillen verkauften. Den Faulenzern, die dort herumlungerten und die Rundungen städtischer Frauen musterten, hingen die Hosenzwickel bis in die Kniekehlen und in ihren Mundwinkeln glänzte der Speichel. Eine Art unterdrückter Gewalt lag in den Molekülen der Luft, die durch ein Antippen hätte freigesetzt werden können.«
Wir bewegen uns unter bettelarmen Leuten, denen inmitten all der politischen Instabilität nur noch Wunderheiler und Orakel den Glauben an ein Morgen vermitteln – das Regime stützt sich auf die Unwissenheit und Schwächen vieler seiner Bürger.
Seit der Islamischen Revolution 1979 gab es immer wieder Hexenjagden auf vorwiegend junge Demokraten, Häretiker und Kommunisten. Die jüngsten Unruhen erscheinen als Fortsetzung früher niedergeschlagener Oppositionsbewegungen. Auch 2009 verschwanden junge Menschen im Evin-Gefängnis.
Amir Hassan Cheheltan studierte in den nachrevolutionären Jahren Elektrotechnik, veröffentlichte erste Erzählungen, war kaum politisch aktiv und blieb von Verfolgungen verschont. Seine letzten zwei Studienjahre verbrachte er in England. Ab 1985 arbeitete er als Ingenieur an einem Wissenschaftszentrum in Teheran – und schrieb weiter.
Seine Texte brachten ihm bald Drohungen ein. 1998 spitzte sich die innenpolitische Lage zu. Freunde warnten ihn davor, die Wohnung zu verlassen. Er verbarrikadierte sich in Todesangst. 1999 konnte er mit seiner Frau und dem kleinen Sohn für zwei Jahre als »Writer in Residence« in der Toskana leben.
Als er nach Teheran zurückkehrte, verlor er seine Stelle. Nun musste das Schreiben ihn ernähren. Helden weiterer Romane Cheheltans sind ein vom Schah-Geheimdienst Entführter oder ein iranischer Kommunist. In einem Filmskript von ihm wird eine Soldatenmutter interviewt. Er leitete Literatur-Workshops und eine Online-Literaturzeitschrift und wurde 2001 in den Vorstand des iranischen Schriftstellerverbandes gewählt. Dank seiner zahlreichen Veröffentlichungen im Ausland mussten die Teheraner Machthaber allmählich mit ihm rechnen.
Cheheltan, der viel im Ausland unterwegs ist, hat einmal gesagt, zu Hause hasse er Teheran eher, aus der Ferne liebe er es mehr. Die Rückkehr in den Iran war für ihn jedes Mal selbstverständlich. Zwar bezeichnet er sich als »Emigrant im eigenen Land«, doch findet er dort seine schriftstellerischen Impulse.
»Teheran Revolutionsstraße« handelt auch davon, wie die Liebe zu einem Mädchen namens Schahrsad in dem Chirurgen Fatah und in Mustafa die Sehnsucht nach einem rechtschaffeneren Dasein weckt. Was sie nicht ahnen: die staatliche Terrormaschine rollt auch über ihr Privatleben hinweg, sie sind längst nicht nur Täter, sondern auch Opfer.
Einer der Höhepunkte des Romans ist der Besuch von Schahrsads Onkel aus der Provinz im Evin-Gefängnis. Er will sich dort ein besseres Bild von der Arbeit Mustafas machen, der um die Hand seiner Nichte angehalten hat. Beim Blick auf den Gefängnishof sieht er mehrmals Gruppen junger Menschen mit Binden vor den Augen, die fortgeführt werden. Als der Folterer Mustafa den Raum betritt, schnürt etwas dem Onkel die Kehle zu: »Er mühte sich und fragte schließlich wie ein überaus bekümmerter Träumer, ›Wohin bringt man Euch, mein Sohn?‹«
Von Barbara Kerneck. Die Autorin ist freie Journalistin und lebt in Berlin.
Ketzer und Früchtchen
29 October 2009Es ist noch nicht lange her, da flatterten grüne Fahnen zuhauf über die Bildschirme. Von den größten iranischen Massenprotesten seit der Islamischen Revolution war die Rede. Vor dem Hintergrund jenes Volksaufstands von 1979, mit dem die heutige Republik ihren Anfang nahm, spielt der Roman „Teheran Revolutionsstraße“ des Iraners Amir Hassan Cheheltan. Es ist das erste Buch, das von ihm auf Deutsch erscheint – pünktlich zu Beginn des Jahres, das er als Gast des Berliner Künstlerprogramms in der deutschen Hauptstadt verbringt. Als Journalist ist der 1956 geborene Cheheltan aus der „FAZ“ und der „SZ“ bekannt. Im Iran ist sein Roman nicht erschienen, Cheheltan hat ihn den Zensurbehörden gar nicht erst vorgelegt, denn „Teheran Revolutionsstraße“ bricht gleich mehrere Tabus.
Einer der Protagonisten ist Fattah, ein reicher Arzt, der Frauen operativ die Jungfräulichkeit wiederherstellt und sie dafür verachtet. Er verliebt sich in eine junge Patientin, die schöne Schahrsad, und beschließt sie zu heiraten. Schahrsad ist aber bereits einem anderen versprochen. Was nach einer klassischen Dreiecksbeziehung klingt, ist eine grausame Tragödie, aus der es von Anfang an keinen Ausweg gibt. Denn Fattah ist ein ehemaliger Geheimagent, der in den Jahren nach der Revolution „halbwüchsigen Ketzern und kommunistischen Früchtchen“ die Köpfe einschlug. Er ist es gewohnt, sich zu nehmen, was er begehrt.
Mustafa prügelt Frauen, bis sie Galle spucken
Das Schlimme ist, dass man auch dem liebestrunkenen und eigentlich recht unsicheren Mustafa Schahrsad nicht gönnen will. Er arbeitet als Wärter in dem berüchtigten Evin-Gefängnis im Norden Teherans und prügelt dort Frauen, bis sie Galle spucken. Allein dieser Schauplatz hätte den Behörden Anlass zur Zensur gegeben. In der Haftanstalt sitzen vor allem politische Gefangene ein. Auch viele Demonstranten bei den jüngsten Protesten wurden dort eingekerkert.
In den Jahren nach der Islamischen Revolution quollen die Zellen geradezu über, bis zu den Massenhinrichtungen 1988. Cheheltan streift solche Ereignisse beiläufig und erzählt von dem verheerenden ersten Jahrzehnt der Islamischen Republik, in dem jede Opposition verfolgt und vermeintliche Unsittlichkeit brutal bestraft wurden. Der Schwere des Themas begegnet er mit einer Sprache voller Ironie und Lebendigkeit. Wenn nicht die fortwährenden Gräuel wären, könnte man meinen, in einer alten persischen Geschichte zu stecken, die sich um das Leben in Teheran entspinnt.
Da gibt es fromme alte Männer, verstoßene Töchter und Träume von sittsamen Frauen. Die zentrale Handlung spielt Ende der 80er Jahre, gemeinsam mit den Figuren blickt man jedoch immer wieder in die Wirren der Revolution und den nachrevolutionären Alltag zurück.
Auch die Bösewichte tragen menschliche Züge
Da ist auch Fachri, Fattahs alte Mutter, die für die Demonstranten unermüdlich Eintopf kocht und zur stadtbekannten Suppenmama avanciert. Als Jugendliche geschwängert und um die Familienehre gebracht, wird sie im Zuge der Revolution zur zornigen Sittenwächterin, die Frauen wegen ihres Make-ups oder ihrer Kleidung nach Evin ausliefert, „damit die Ehrlosigkeit sich nicht wieder im Land ausbreiten würde“.
Der Roman schildert den alltäglichen Terror in den Straßen Teherans aus der Perspektive der Peiniger, die glauben, moralisch zu handeln. Auch sie, die Bösewichte tragen menschliche Züge. Verletzlich wie alle anderen sind sie eigentlich bloß auf der Suche nach einem Platz für sich und ihre Träume. Cheheltan zeichnet auf den nur 200 Seiten von „Teheran Revolutionsstraße“ das Bild einer zerrissenen Gesellschaft, deren Widersprüche die Seelen der Menschen spiegeln.
- Amir Hassan Cheheltan: Teheran Revolutionsstraße. Roman. Aus dem Persischen von Susanne Baghestani. Kirchheim Verlag, München 2009. 203 Seiten, 22 €.
Wie man Jungfrauen macht
24 October 2009Beklemmend: ein Iran-Roman über ein Land als Gefängnis.
Mein Sohn ist ein Regierungsmensch, er bringt ehrlich verdientes Geld ins Haus“, versichert Mustafas Mutter, als sie für ihren Sohn um die Hand der schönen Schahrsad anhält. Ein geregeltes Einkommen, noch dazu vom Staat, im Zuge der Brautwerbung kein unwesentlicher Aspekt.
Der Leser von Amir Hassan Cheheltans Roman „Teheran Revolutionsstraße“ weiß zu diesem Zeitpunkt schon mehr als die allein erziehende Brautmutter, er hat bereits Einblick in die Arbeit erhalten, die Mustafa sein „ehrlich verdientes Geld“ einbringt: „Kurz darauf eilten vier Männer in die Zelle und umringten das Mädchen. Mustafa trat ihr erbost zwischen die Beine. Dann bückte sich einer von ihnen zu ihr hinunter und fragte hämisch, ,hat's wehgetan?‘. Das Mädchen hob verneinend die Brauen. Das entsprach der Wahrheit, sie spürte ihren Körper nicht mehr. Der nächste Tritt folgte. Plötzlich legte das Mädchen die Hände auf den Magen und krümmte sich zusammen. Man schleifte sie bis zur Abortgrube, und ihre Würgegeräusche hallten durch die ganze Abteilung.“
„Regierungsmensch“ ist man im Iran eben auch als Verhörbeamter im berüchtigten Evin-Gefängnis. Evin – wie nichts sonst stehen diese vier Buchstaben für den Terror, den der Staat gegen Andersdenkende ausübt, gegen Regimegegner oder jene, die er dafür hält. Evin: In den Folterkellern dieses Gefängnis-Komplexes im Norden Teherans wurde 2003 die iranisch-kanadische Fotoreporterin Zahra Kazemi zu Tode geprügelt – im Gegensatz zu vielen anderen erregte ihr Fall immerhin internationale Aufmerksamkeit. Und als heuer im Frühsommer viele die gefälschte Präsidentschaftswahl nicht hinnehmen wollten und auf die Straße gingen, brachte man wiederum Hunderte von ihnen nach Evin, das schon seit der Schah-Zeit auf politische Gefangene spezialisiert ist.
Genau das macht Cheheltans Roman, dessen Handlung vor etwa 20 Jahren spielt, zum Buch der Stunde beim Thema Iran. Kombiniert man die aktuellen Bilder, Folter- und Mordvorwürfe mit den explizit geschilderten Folterszenen des Romans – dass Cheheltan nicht einmal versuchte, sein Buch durch die Teheraner Zensur zu bringen, liegt auf der Hand – schnürt es einem die Kehle zu. Auch wenn die Figuren-Konstellation zunächst unwahrscheinlich wirkt, ist sie als eine Art „repräsentativer Extremfall“ durchaus schlüssig und vom Autor gnadenlos durchexerziert. Die Islamische Republik – ein riesiges Gefängnis, vor dessen Wärtern es kein Entkommen gibt.
Die Handlung ist rasch erzählt: Der vorgebliche Arzt Fattah, selbst aus den Reihen des Geheimdienstes und Evin-geschult, hat eine munter sprudelnde Geldquelle aufgetan: Er macht Jungfrauen. Sprich, er näht jungen Frauen vor deren Hochzeit das dringend benötigte Jungfernhäutchen wieder zusammen. Der unverheiratete Sadist, dessen Mutter die Hoffnung aufgegeben hat, einmal Enkel auf den Armen zu halten, lässt es während der Eingriffe an ausgesucht widerwärtigen Kommentaren, die er seinen hilflosen Patientinnen entgegenspeit, nicht mangeln. Auch bei Schahrsad.
Doch diesmal ist etwas anders. Er will von ihrer Mutter nicht nur das Geld für die Operation, er will auch ihre Tochter. Und der Meister der Doppelmoral ist offenbar gewöhnt, dass er bekommt, was er will. Das heißt, er nimmt „es“ sich einfach. Eine Frau, das ist für ihn vor allem eine Sache, die
man auf einem Sockel ausstellt. Dass er für sich das Recht in Anspruch nimmt, die Folgen der Operation durch eine Vergewaltigung wieder zu „korrigieren“, verwundert dann schon nicht mehr. Das erfährt sein Konkurrent Mustafa zwar nicht, aber er spürt, dass er gegenüber dem mächtigen Mitbewerber in einer aussichtslosen Position ist und setzt eine letzte verzweifelte Aktion – die Schahrsad noch in der Nacht ins Massengrab bringt. Die zwei Männer haben „erfolgreich“ so lange an dem Mädchen gezerrt, bis es tot war.
Und Schahrsad? Ihre Zukunftspläne, Gefühle, ihre Sehnsüchte? Spielen kaum eine Rolle, und folgerichtig ist Cheheltans Roman auch ein Täter-, kein Opferbuch geworden. Der Autor durchleuchtet das Umfeld der Regime-Schergen Mustafa und Fattah, erzählt, wie sie zu dem wurden, was sie sind – ohne dass er freilich in irgendeiner Form den Versuch unternimmt zu rechtfertigen, was nicht gerechtfertigt werden kann, oder zu moralisieren, wo jedes Moralisieren überflüssig ist.
Die einfache, klare Sprache macht das Geschilderte umso eindringlicher. Dynamik gewinnt der Text durch einen steten Wechsel von temporeich erzählten Passagen aus der Gegenwart der Akteure und „langsamen“ Rückblenden. Einen merkwürdigen Beigeschmack bekommt die Übersetzung von Susanne Baghestani allerdings, wenn Teheraner in die deutsche Umgangssprache wechseln: „Siehste“, „Nu mach schon“, „Ne Minute“, „Früchtchen“; das wirkt lächerlich. Es ist aber der einzige Makel eines tieftraurigen, aber wichtigen Buches. ■
("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.10.2009)
Vaterlose Gesellschaft
13 October 2009Gefangen in Tradition
15 September 2009Amir Hassan Cheheltans Roman "Teheran Revolutionsstraße" zeichnet ein düsteres Bild der iranischen Gesellschaft. Seine Analyse besticht nicht zuletzt durch ihre Aktualität
Von Elisabeth Knoblauch
Eine junge hübsche Frau zwischen zwei Männern, einem älteren angesehenen Arzt mit eigener Klinik und einem jungen Gefängniswärter. Ein Spiel zwischen den Geschlechtern, zwischen Arm und Reich. Ein humorvolles Stück über die Liebe – eingebettet in die Frage nach dem Sinn oder Unsinn des Lebens: Stoff, aus dem Woody Allen eine wohltuende Komödie stricken könnte. Hätte sich diese Geschichte in New York zugetragen.
Doch es ist Teheran. Liebe und Begierde sind ebensolche Luxusgedanken wie die Frage nach dem Sinn des Lebens. In seinem Roman Teheran Revolutionsstraße zeichnet Amir Hassan Cheheltan ein düsteres Bild vom Alltag im Iran. Es ist in bedrückendes, in jeder Hinsicht einengendes Leben. Mühsam und ohne Aussicht auf Besserung wälzt es sich durch die schmutzigen grauen Straßen der Stadt.
Der reiche Klinikbesitzer Fattah ist in Wirklichkeit kein Arzt, er hat lediglich als Assistent im Operationssaal gearbeitet, bevor er auf undurchsichtigen Wegen zu Geld gekommen ist. Die junge Frau Schahrsad ist seine Patientin. Er lernt sie kennen, als ihre Mutter und deren Nachbarin sie zu ihm bringen, um ihr das Jungfernhäutchen wiederherzustellen. Dieses benötigt sie für ihre Hochzeit, die in einigen Monaten stattfinden soll. Mustafa, der junge Mann der um ihre Hand angehalten hat, ist ein Aufseher im Zuchthaus Evin im Norden von Teheran. Was Schahrsad nicht weiß: Er ist ein Folterknecht bis hin zu Mord.
Fattah, der Arzt, hat sich in den Kopf gesetzt, die junge Frau zu bekommen. Er verfolgt sie, lauert ihr auf, setzt sie unter Druck, sucht ihre Familie auf und bedrängt diese, in die Heirat einzustimmen. Schließlich vergewaltigt er Schahrsad, sich in dem irrsinnigen Glauben wägend, sie würde ohnehin alsbald ihm gehören. Mustafa, der junge Mann fühlt sich von dem angesehenen Arzt zusehends in die Enge getrieben. Zugleich hat der Onkel des Mädchens seinen Chef im Gefängnis besucht und unangenehme Fragen zu seiner wahren Tätigkeit gestellt. Als Mustafa glaubt, der Konkurrent würde siegen, stellt er einen wahnwitzigen Plan auf, um mit Schahrsad zu fliehen. Die Geschichte endet ebenso tragisch, wie sie begonnen hat. Noch das kleinste Fünkchen Hoffnung auf eine Besserung wird zermalmt, bevor es überhaupt die Chance bekommen hat, das Licht der Welt zu sehen.
Scheinbar unbeteiligt lässt Schahrsad sich von den Ereignissen mitschleifen. Kein Aufschreien, kein Aufbegehren ist von ihr zu hören. Ihre ganze Kraft fließt in das starre Aushalten, das kein Morgen kennt, keine Schuld, kein Selbstwertgefühl. Begleitet wird es vielmehr von Autoritätsglaube und Gehorsam. Und mit dieser Charakterisierung der jungen Frau gelingt Cheheltan eine beeindruckende Reflexion der Befindlichkeit der iranischen Gesellschaft. Gefangen zwischen Tradition und Moderne, Glauben und Aberglauben und brutal unterdrückt von einem Machtapparat der sich tief in die Gesellschaft eingegraben hat, scheint es keinen Ausweg zu geben.
Obwohl der Roman mit einigen Rückblicken in die vorrevolutionäre Zeit in den späten achtziger Jahren spielt, ist er somit auch eine Analyse der Gegenwart. Denn, auch wenn sich in den Protesten und Demonstrationen nach der Wahl im Juni diesen Jahres mehr als ein Funken des Aufbegehrens gezeigt hat, befindet sich die Gesellschaft nach wie vor in dieser gelähmten und sich auch selbst lähmenden Position. Nicht mehr lange jedoch, davon ist Cheheltan überzeugt. Es sei nur eine Frage der Zeit, so sagt er in einem Gespräch, bis sich die Gesellschaft ihr Recht auf Freiheit und ihre eigene Moderne einfordert.
Vielleicht gilt dies in gewisser Weise auch für den Schriftsteller Amir Hassan Cheheltan selbst: Mehr als dreißig Jahre nachdem sein erster Erzählband Ehefrau auf Zeit 1976 im Iran erschien, habe er nun in Teheran Revolutionsstraße einmal über das schreiben wollen, was ihn wirklich beschäftige. Ohne an die Zensurbehörde denken zu müssen, die im Iran alle Publikationen absegnen muss, bevor diese veröffentlicht werden können. Cheheltan ist davon überzeugt, dass für seinen neuen Roman keine Möglichkeit der Publikation bestünde. Er hat es auch gar nicht erst versucht.
Der Roman wurde auf Deutsch veröffentlicht, Chehaltans erster hierzulande. Im Iran hat der 1956 in Teheran geborene Schriftsteller bisher fünf Erzählbände und sechs Romane veröffentlicht. Dreh- und Angelpunkt seiner Prosa ist die Stadt Teheran und ihre Historie. Auch das von ihm im Roman in eindrücklichen Bildern beschriebene Evin-Gefängnis, in dem Mustafa als Aufseher arbeitet, existiert in der Realität. Vor allem politische Gefangene sind dort untergebracht, erst jetzt kamen dort nach den Verhaftungen im Zuge der Demonstrationen nach der Präsidentschaftswahl wieder Personen zu Tode, viele wurden gefoltert und misshandelt. Amir Hassan Cheheltan hat viel gewagt mit diesem Roman.
Für die kommenden zehn Monate weilt er mit seiner Frau und seinem erwachsenen Sohn auf Einladung des DAAD in Berlin. Seine Geschichte, auch wenn Sie nur in Deutschland veröffentlicht wurde, wird ihren Weg zurück in den Iran finden.
Iran ist das Land der Widersprüche
07 September 2009Macht, Korruption, Idealismus
01 January 2009„Das Ganze war völlig absurd. Aber es war
real. Eine absurde Realität. In einer solchen Realität spielt sich unser Leben ab. Sie ist zweifelsohne originell, aber auch unvorstellbar grausam“, so ein Eintrag von Dr. Dinesh Manohar
Wakankar in sein Tagebuch. Und diese Realität
ist nicht der schriftstellerischen Imagination
eines Autors entsprungen, nein, sie ist ein Teil
der Lebenswirklichkeit Indiens. So schreibt
Uday Prakash gleich zu Beginn seines Romans:
„Dr. Wakankar existiert unabhängig von Schriftsteller und Werk.“
Die Liste von Rewiews über „Tehran, Revolutionstr“.
01 January 2009Die Liste von Rewiews über „Tehran, Revolutionstr“.
(ein Roman von Amir Hassan Cheheltan)
* Verfügbar in http://www.kirchheimverlag.de/index/cheheltan-frame.htm
1*-Christian Vogg,WDR(Westdeutscher Rundfunk),23/7/2009(interview)
http://www.wdr3.de
2*-Liebe in Zeiten der Unter druckung, Kamran Safiarian, 3sat,Kulturzeit, 4 Sep. 2009(interview is included)
http://www.3sat.de/dynamic/sitegen/bin/sitegen.php?scsrc=2&date=2009-09-04&division=kulturzeit&cx=0
3*-Unschuld und Massengrab,
Verena Lueken, FAZ, 12/8/2009 (portrait+review)
4*-Eine fragwurdige Ordnung, Sabine Zaplin, SZ, 20/8/2009
5*-Heuchelei der Frommen, Kurt Scharf, Literatur Nachrichten, Herbst 2009
6*-Iran ist das Land der Wide…, Jurgen Konig,
Deutschlandradio Kultur,7/9/2009(interview)
http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/thema/1029529/
7-Drei Rohren und zwei Liebesgeschichten, Ali Siami, Junge Welt, 8/9/2009
(repeated in Gegenwind,Nr 253,October 2009)
8*-Gefangen in Tradition, Elisabeth Knoblauch , ZEIT-online,14/9/2009
http://www.zeit.de/kultur/literatur/2009-09/teheran-revolutionsstrasse
9-Radio eins, Interview, 18/9/2009
10*-Der Streit um Schahrsad, Frank Quilitzsch,
TLZ(Thuringische LandesZeitung) , 3/10/2009
11*-Vaterlose gesellschaft, Stefan Weidner, FAZ, 13/10/2009
12-Blue sofa, Barbara Wahlster, ZDF, 18/10/2009(interview)
http://www.zdf.de/ZDFde/inhalt/22/0,1872,4341526,00.html?dr=1
13*-Aufstieg eines Chirugen, Stefan Weidner, Deutschlandfunk, 22/10/2009
http://www.dradio.de/dlf/sendungen/buechermarkt/1055635/
14-Tehran, Revolutionstrasse, Stefan Weber, Die-stadtreduktion.de, 23/10/2009
http://www.die-stadtredaktion.de/?p=4211
15*-Wie man Jungfrauen macht, Helmar Dumbs, Die Presse, 24/10/2009
http://diepresse.com/home/spectrum/literatur/517185/index.do
16*-Ketzer und Fruchtchen, Jenny Becker, Tagesspiegel, 29/10/2009
http://www.tagesspiegel.de/kultur/literatur/
Amir-Hassan-Cheheltan-Iran;art138,2935263
http://www.pnn.de/kultur/230938/
17-Hassliebe Teheran, Volker Kaminski , Qantara, 2009
http://de.qantara.de/webcom/show_article.php/_c-299/_nr-749/i.html
http://www.qantara.de/webcom/show_article.php/_c-310/_nr-714/i.html
18-Im Mahlwerk des Regimes, Thomas Hummitzsch, Glanz & Elend
Magazin für Literatur und Zeitkritik,29.12.2009
http://www.rezensionen.ch/buchbesprechungen/
amir_hassan_cheheltan_teheran_revolutionsstrasse/3874101118.html
http://www.glanzundelend.de/Artikel/cheheltan.htm
19-Erbarmungsloser Realismus, Astrid Kaminski, Berliner Zeitung, 12/11/2009
http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/archiv/.bin/dump.fcgi/2009/1112/bcher/0010/index.html
20-Cheheltan Romans "Teheran Revolutionsstraße", , 30.11.2009
http://oe1.orf.at/inforadio/116064.html?filter=5
21-MANN DER LEISEN WORTE, Barbara Kerneck, AMNESTY JOURNAL Dec. 2009
http://www.amnesty.de/journal/1970/januar/mann-der-leisen-worte
22-Im Wurgegriff, Albert Meisl, Munchner Merkur, 2/12/2009
23-Zwei verliebte Mörder tun nur ihre Pflicht, Karl-Markus Gauss in Falter :
Wien 50/2009 vom 9.12.2009 (Seite 31)
' http://www.falter.at/web/shop/detail.php?id=31207
24*-Im schwarzen Loch von Teheran, Alex Ruhle, SZ, 18/12/2009
25-Die Bevölkerung Irans ist reif für ein…, Susanne Schanda,
Der Magdalena Freudenschuß kleine,23/1/2010(interview)
26*-Die Moral der Leute(Anhanger und Ausgelieferte), Kurt Scharf, taz, 9/2/2010
27-Besse als Twitter, Oliver M. Piecha , Jungle World Nr. 6, 11. Februar 2010
28-Sigrid Loffler, RBB Kulturradio, 18/02/ 2010
http://www.kulturradio-online.de/rezensionen/buch/2010/amir_hassan_cheheltan.html
http://www.dw-world.de/dw/article/0,,5348425,00.html
29-Teheraner Studien, , Incota Brief,10/3/2010
30- Sonntag 14.03.2010 17.05 - 18.00 Uhr: SWR2 Forum Buch,
Redaktion/Moderation: Katharina Borchardt
Mit neuen Büchern von: Anne Weber, Amir Hassan Cheheltan, Roger Smith,
Martin Walser, Guy Delisle, Michèle Lesbre, ( Rezensent: Kersten Knipp)
http://www.podcast.de/episode/1529412/SWR2_Forum_Buch:_
Mit_neuen_B%C3%BCchern_von:_Anne_Weber,_
Amir_Hassan_Cheheltan,_Roger_Smith_u.a
31-Lettre International no.88-Fruhjahr 2010 (interview)
http://www.lettre.de/aktuell/88-Cheheltan.html
32-Roman gibt Einblick in Iran,MuensterlandZeitung,25/03/2010
33- sturmische Zeiten im Iran,Jonas Schmid, AMNESTY,Februar 2010
34 -Cineastentref 19.5.2010 Gerrit Wustmann
35- Zwischen Poesie und Realismus,
Tom Bullman, Neue Osnabrucker Zeitung, 17 Aug 2010
36-APA(Austria Presse Agentur)Rezension, 7.Feb 2010
37-WELT EMPFANGER (litprom-Bestenliste), Karl-Markus Gauss, 5/2009
http://www.arte.tv/de/Kultur-entdecken/Literatur/2966130.html
38-Stadt des Ekels, Neue Zurcker Zeitung(NZZ online),23. Dec 2009
39*-Teheran. Revolutionsstraße, rezensiert von Kurt Scharf, Dez. 2009
www.arte.tv/de/
40*- Literatur zwischen Liebe, Hass und Hoffnung, Susanne Jaspers,
Tageblatt Luxemburg Mai 2009(interview)
41- Interview with Kurt Scharf, Literatur Nachrichten,
42- Moloch Teheran, Paul L. Walser, Die Wochenzeitung(WOZ), 21 Januar 2010, http://www.woz.ch/artikel/inhalt/2010/nr03/Kultur/18986.html