Einmal stehen die drei abends draußen und blicken auf die Stadt: der Schriftsteller Nader, seine Freundin Nastaran und der Engländer David, der Iran gerade erst kennenlernt. Drinnen haben sie gerade wüst geschminkte Teufelsanbeter und Teufelsanbeterinnen kennengelernt, draußen, auf der Terrasse vor diesem Geheimclub, blicken sie auf das schlafende Teheran, die Sterne am Himmel, unten die glitzernden Lichter der Nacht. David ist verwundert, dass es so etwas dort überhaupt gibt, und Nader antwortet, dass es alles gibt in Teheran, was man sich auch an anderen Orten vorstellen kann: „Genau deshalb sind wir ja noch hier.“
Die Rose von Nischapur (Roman)
Description
Im Jahr 2015 erfüllt sich der junge Engländer David endlich seinen Traum und reist in das Heimatland seines Lieblingsdichters Omar Khayyam, den Iran. Das Land ist seit dem Arabischen Frühling schwer erschüttert – für Reisende aus dem Westen ist höchste Vorsicht geboten.
Doch Davids iranischer Freund Nader und dessen Freundin Nastaran empfangen ihn in Teheran und zeigen ihm die geheimnisvollen Ecken dieser aufregenden und gebeutelten Stadt. Über ihre gemeinsame Leidenschaft für Khayyam entspinnt sich eine Dreiecksbeziehung, die zum Scheitern verurteilt ist. «Die Rose von Nischapur» ist ein ergreifender Roman über Liebe, Eifersucht und Tabubrüche in einem autoritären Staat, über das Spannungsfeld Orient-Okzident und die beeindruckende Wirkungsmacht von Literatur auf der Flucht vor dem eigenen Leben.
Reviews
Liebe, Eifersucht, Verrat, Tabubruch
08 November 2024
Liebe, Eifersucht, Verrat, Tabubruch – die fatale Beziehungsgeschichte „Die Rose von Nishapur“ von Amir Hassan Cheheltan führt ins Innere einer Familie im heutigen Teheran und zeigt wie aktuell historische Themen sind.
"In den acht Jahren, die er und Nastaran zusammen waren, waren sie noch nie ernsthaft miteinander in Streit geraten. Man konnte sie zu den unkomplizierten Paaren zählen… Seit ein, zwei Jahren aber fragt Mama Malli ständig: „Findet ihr nicht, dass es Zeit ist zu heiraten?“
Amir Hassan Cheheltan – Die Rose von Nischapur
„In my apartment, in the building that I live in, 20 families live in this building, and we had two couples, who live together without marriage. And this is the real picture of my country, or at least the real picture of Tehran as the mega city and as the heart of Iran."
Amir Hassan Cheheltan kennt zwei unverheiratete Paare im eigenen Haus, das sei heute Realität in Teheran, dem Herzen Irans, sagt er. Auch zwei seiner Romanfiguren, der Schriftsteller Nader und die junge Grafikdesignerin Nastaran, leben in „weißer Ehe“.
"Nastarans Gefühle waren echt… Nader bewunderte ihre dezente Unverblümtheit und ihre Zivilcourage."
Amir Hassan Cheheltan – Die Rose von Nischapur
Abtrünniger, Ungläubiger, Hedonist: Der Dichter Omar Khayyam
Aber dann kommt der attraktive, alle betörende Engländer David, benennt ihre Lebenslügen, und die Dreiecksgeschichte driftet in die Katastrophe.
Dieses Beziehungsdrama unterfüttert Cheheltan, der Homme de lettres, mit philosophischen Gesprächen und historischen Lektionen. Im Zentrum Omar Khayyam, ein Dichter aus dem 11./12. Jahrhundert. David verehrt Khayyam, den Abtrünnigen, Hedonisten, den Gegenspieler aller Glaubensverkäufer.
Amir Hassan Cheheltan:
„In his poetry, he's against God, he's against everything. He cares only about this moment. I want to clear up something at the present. Khayyam is a figure that is against everything that Islamic Republic is based on and at the same time, I wanted to show a modern life in Tehran."
Historie zur Klärung der Realität also. Khayyam lehnte alles ab, worauf die heutige Islamische Republik basiert, resümiert Amir Cheheltan. Wozu noch Selbstmordattentate, wenn es kein Paradies gibt? Wozu Wein und Musik im Diesseits verbieten, wenn kein Jenseits existiert, lässt er seine Figuren fragen, öffnet Diskussionsräume und zeigt die Gegenwart im Spiegel der Vergangenheit.
Aus der persischen Literaturgeschichte zitiert er eine Fülle von Beispielen, auch zu Tabus wie Homosexualität. Europa sei prüde gewesen, sagt er und lässt das Personal seines bildungstrunkenen Romans überall debattieren, auf Märkten, beim opulenten Essen, im Theater. Über Gott und die Welt, Orient und Okzident, es wird eine Menge geredet und zugleich verhüllt.
„Manchmal redet man viel, um etwas zu verbergen“
Amir Hassan Cheheltan:
„This is my style in narration always, that I am not so direct to anything. Because I think a human life is very complicated, and sometimes you talk a lot just because you want to hide something."
Das menschliche Leben sei kompliziert, manchmal rede man viel, um etwas zu verbergen, weiß Amir Hassan Cheheltan, Ende 60, ein Schriftsteller von stilistischer Raffinesse, ein Meister von Innenräumen, der hinter Fassaden blickt, der mit Erwartungen spielt und immer wieder falsche Fährten legt. Nastaran heißt seine weibliche Hauptfigur, sie kommt aus Nischapur wie Omar Khayyam und wie die echte Rose von Nischapur, die Blume, die im fernen England, am Grab von Khayyams Übersetzer vertrocknete.
Eine Rose, nicht feuerrot, aber wunderbar duftend.
Amir Hassan Cheheltan – Die Rose von Nischapur
Amir Hassan Cheheltan ist Iraner und Weltbürger. In der Zeit der Massenhinrichtungen in Iran Ende der 90er-Jahre lebte er in Italien, später in Deutschland und den USA. Immer ging er nach Teheran zurück, das Land sei sein Zuhause, die Stadt sein Arbeitszimmer, sagt er.
Amir Hassan Cheheltan:
„I am so connected to my home, the country, my country is my home. The capital of my country is my study room. And whereever in the world I am, I feel like a passenger who is in the station to get the next train."
Wo immer er in der Welt sei, er fühle sich wie ein Passagier, der auf den nächsten Zug warte, meint Cheheltan. Auch diesmal wird er wieder aus Europa zurückkehren in die Islamische Republik. Er hält sich fern von politischen Organisationen, selbst dem Schriftstellerverband, in dem er einst aktiv war. Seit vierzig Jahren publiziert er, seit zwanzig Jahren können seine Bücher nur im Ausland erscheinen. Aber er schreibt, in Romanen und deutschsprachigen Zeitungen, erstaunlich deutlich über Korruption, Inflation, Frauen, den offenen und stillen Protest, nichts davon gibt es auf Persisch.
Irans „Weg des Todes“: eine Sackgasse?
Amir Hassan Cheheltan:
„In fact, after the Mahsa movement, maybe the government was even more strict. So many lives were lost during this movement. Many eyes were blinded in the streets, in the protest scene. But like any other movement it has got up and down. It is still an ongoing movement, and nowadays, there is a lot of people active in social obedience. You see many girls in public places without hijab."
Zu Beginn der Jina Mahsa Amini-Bewegung sei das Regime rigider gewesen, so viele verlorene Leben, beim Protest in den Straßen erschossen oder geblendet, aber die Bewegung gehe weiter, immer mehr junge Frauen zeigten sich öffentlich ohne Hijab, sagt Cheheltan. Irans neuer Präsident Massud Peseschkian, ein Reformer im Amt, schien ein Zeichen, als hätte das Regierungssystem der Mullahs verstanden, dass der rigide Kurs eine Sackgasse, ein „Weg des Todes“ gewesen wäre. Aber die Hinrichtung eines Deutschen wäre ein fataler Fehler gewesen. Den Preis zahlten am Ende wieder die Iraner, sagt Cheheltan. Die Reformer sind eliminiert, aber die Mittelschicht verweigert sich, nur 15 Prozent der Bürger Teherans gingen zur Wahl.
Iraner haben mehrere Gesichter
Die Menschen lebten in eigenen Welten, hinter den Wohnungstüren meist liberaler, Iraner hätten drei, vier Gesichter, sagt er. Und mit dem Krieg in Nahost wolle die Mehrheit nur noch „Iran first“, keine Einmischung im Libanon oder in Palästina. Für Nastaran, „Die Rose von Nischapur“ im Roman, gibt es kein glückliches Ende. Aber, wo es keine Hoffnung gebe, sagt Amir Hassan Cheheltan, müssten wir sie schaffen. Ost und West seien heute ein Dorf und Literatur immer eine Hilfe, sie sei alles in der Welt.
Amir Hassan Cheheltan:
„We should create hope if there is not any. Of course, the West and East, we are living in a very small village now. Always, literature is helpful. Literature is everything in the world."
Liebe macht zerbrechlich
08 November 2024Obwohl er jeden Moment verhaftet werden könnte, lebt der Schriftsteller Amir Hassan Cheheltan weiterhin in Iran. In seinem neuen Roman „Die Rose von Nischapur“ glaubt man zu verstehen, warum.
Reisende im Orient
11 October 2024Zur rezeption der Bücher von amir Hassan Cheheltan gehört häufig, dass sie als tore in die fremde, verschlossene Welt des orients gelesen werden – und als tore in die womöglich noch verschlossenere Welt der persischen Dichtung. Cheheltan, 1956 in teheran geboren und nach stationen in Italien, Deutschland und den Usa seit einigen Jahren wieder dort lebend, lässt immer wieder alte persische Lyriker in seinen romanen auftauchen und mit ihnen gedanken, die in der gegenwart seines Landes nur unter gefahren zu äußern wären. Zuletzt hielten in „Der Zirkel der Literaturliebhaber“ (2020) mit Ferdosi, saadi, rumi und Hafis etliche geschichten einzug, die von Beziehungen zwischen söhnen und müttern und gleichgeschlechtlicher Liebe unter männern erzählten. Das nun erschienene „Die rose von Nischapur“ steht im Bann nur eines Lyrikers: omar khayyam, Universalgelehrter und Dichter im elften Jahrhundert. Das tut es allerdings gründlich.
Denn es ist die Faszination für omar khayyam, die einen jungen engländer namens David nach teheran reisen lässt, wo er von Nader und dessen Verlobter Nastaran empfangen wird. Nader ist ein arrivierter schriftsteller und hat den kontakt zu David gehalten, nachdem er ihm bei einer Lesung in London begegnet war. Nun zeigt er David teheran, eine stadt, die in Cheheltans behutsamen schilderungen wie ein schlafender riese wirkt, eine metropole, die auf der Bremse steht, jederzeit bereit loszubrausen, sobald man sie lässt. Nader und Nastaran führen ein normales Leben. er schreibt, sie illustriert. er möchte nicht heiraten, sie will kinder. ab und an kommen Nastarans mutter und deren Bruder zum abendessen, zu denen der
Bruder stets zwei Flaschen seines selbstgekelterten Weines mitbringt. man ist sich einig in der abneigung gegenüber den mullahs, die man beim tischgespräch kaum eines Wortes würdigt. man hat sich eingerichtet. Häufig drehen sich die konversationen um omar khayyam und sein Lob des Hedonismus, seine auflehnung gegen den göttlichen Willen und sein Beharren auf Vergänglichkeit. Im raum steht dabei letztlich die von Cheheltan bereits in anderen Büchern vertretene these, dass Dichter wie omar khayyam für den genuss, die Liebe und das Diesseits plädierten, weil sie ahnten, dass vom Jenseits nichts Besseres zu erwarten sein dürfte. Das darf man als kritik an den in Iran derzeit vorherrschenden frömmelnd-strengen Interpretationen von religion verstehen.
Dass diese tischgespräche sich stellenweise wie literaturhistorische seminare lesen, ist eine verzeihliche schwäche des Buches. ausgefeilter geschildert ist, was sich auf nonverbaler ebene an diesen tischen tut, denn zwischen dem Paar und David, der nach einem ungeschickten Unfall einige Wochen bei Nader und Nastaran einziehen muss und von beiden fürsorglich umhegt wird, entspinnt sich eine Dreiecksgeschichte, die sich zum ende des Buches hin in einen krimi verwandelt. Cheheltan zeichnet seine drei Figuren als menschen mit geheimnissen, die sie trotz aller Zugewandtheit voreinander verbergen. sein stil ist nüchtern, er evoziert keine stimmungen, sondern beschreibt sie, allerdings auf eine art, die den raum offenhält für allerlei rätsel. In das irdische geschehen eingewebt sind immer wieder träume, die Nader und Nastaran (aber nicht David) nachts heimsuchen, was der erzählung zusätzlich einen märchenhaften Zug verleiht. mehrfach fällt der satz:„er wusste es nicht zu sagen.“ Was genau? andeutungen mehren sich.
Nicht zufällig wird sowohl von omar khayyam als auch von dessen im achtzehnten Jahrhundert lebenden britischen Übersetzer immer wieder erzählt, sie beide hätten homosexuelle Neigungen gehegtein Verlangen, das bei Cheheltan in der Vergangenheit bereits mehrfach zur sprache kam und mit ein grund dafür sein dürfte, dass seine Bücher schon lange nicht mehr in Iran, sondern zuerst in deutscher Übersetzung erscheinen. Die Begegnung mit David weckt in Nader jedenfalls alte, tief verborgene gefühle.
Was sie auf der anderen seite auslöst, steht dahin. Denn David, der durch altpersische Lyrik entflammte Brite, der, sich seines glückes durchaus bewusst, einer Leidenschaft folgend durch teheran flaniert und eine fremde kultur aufsaugt, bleibt der große Unbekannte in dieser geschichte. Bezeichnenderweise dringt Cheheltan so gut wie nie in Davids Innenleben ein. es ist, als bliebe es auch ihm, dem schriftsteller, verborgen. Dabei bedeutet der westliche orientreisende, der gute absichten hegt und ein trümmerfeld hinterlässt, eine neue Figur in Cheheltans repertoire. Und sein kritisches Potential ist hier noch nicht ausgeschöpft.