Der 1956 in Teheran geborene Amir Hassan Cheheltan gilt als einer der bedeutendsten Schriftsteller und Publizisten Irans. Neben zahlreichen Romanen veröffentlicht er regelmäßig Artikel zu iranischen Themen in internationalen Zeitungen, unter anderem in der Frankfurter Allgemeinen, der Süddeutschen und der New York Times. Im Juni wird Cheheltan auf Einladung des DAAD für ein Jahr nach Deutschland kommen, im selben Monat erscheint im Münchner P. Kirchheim Verlag die deutsche Übersetzung seines Romans „The Morals of the Inhabitants of Revolution Avenue“. Ein Gespräch mit dem Autor über das Schreiben in einem repressiven System, die Liebe zu seinem Land und seiner Sprache und die Hoffnung auf eine liberalere Zukunft im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen in Iran, die am 12. Juni 2009 stattfinden werden.

 

S.J.: Herr Cheheltan, auf Einladung des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) werden Sie in Kürze den Iran verlassen, um ein Jahr in Berlin zu leben. Werden Sie Ihr Land und Ihre Heimatstadt Teheran vermissen?

A.C.: Meine Heimatstadt Teheran löst in mir zwei stark widersprüchliche Empfindungen aus: Liebe und Hass. Immer, wenn ich weit weg von Teheran bin, lässt der Hass nach und die Liebe überwiegt.

 

S.J.: In den vergangenen drei Jahrzehnten ist das Leben in Iran aufgrund einschneidender politischer Ereignisse und Veränderungen nicht ganz einfach gewesen. Wie haben das Ende des Schah-Regimes, die Islamische Revolution oder Ihre Zeit als Soldat im Iran-Irak-Krieg Ihr Schreiben beeinflusst?

A.C.: Jedes dieser Themen findet sich in meinem literarischen Schaffen wieder. Ich muss allerdings zugeben, dass der politische und gesellschaftliche Alltag in meinem Land sich in meiner Arbeit zwar stark, allerdings nicht direkt niederschlägt. Ohnehin wird jeder Aspekt des Lebens in Iran von der politischen Situation überschattet. Das mag vor allem daran liegen, dass die Regierung sich in jeden noch so privaten Lebensbereich einmischt. Sie mischt sich darin ein, was man liest, was man schreibt, was man isst, was man trinkt und sogar darin, was man denkt. Die islamische Regierung in Iran versucht, der Gesellschaft einen ganz bestimmten Lebensstil aufzuzwingen. Mit meinem Schreiben versuche ich meistens, gegen diese Zwänge anzukämpfen.

 

S.J.: Seit der Islamischen Revolution und dem Iran-Irak Krieg sind Sie immer wieder mit feindlichen Kräften auch im eigenen Land konfrontiert worden. Ihre und die Bücher anderer kritischer Schriftsteller wurden zensiert, die Veröffentlichung verboten, es wurden sogar Morddrohungen gegen Sie ausgesprochen. Wie kann Literatur oder auch Kultur im Allgemeinen vor solch einem feindseligen und schwierigen Hintergrund gedeihen?

A.C.: Der Kampf um die Kultur und ihre Freiheit wird in der Tat momentan noch ausgefochten, beide Seiten empfinden diesen Kampf als eine Frage von Leben und Tod. Als Schriftsteller versuchen wir, diese Schlacht mit intellektuellen Mitteln zu schlagen, denn schließlich können wir Worte und Kreatitvät als Waffen benutzen. Die Waffen der Gegenseite hingegen heißen Hass und Gewalt. Darum ist das Ganze ein ziemlich unfairer Kampf. Doch unsere Kreativität hat eine ungemein wichtige Rechtfertigung:den Widerstand. Widerstand gegen die Zensur, Widerstand gegen Verbote und gegen Bedrohungen. Dieser Widerstand hat uns wertvolle Errungenschaften in der Kunst, der Sprache, der Literatur, in unserem Denken und vielen weiteren Bereichen gebracht. Was allerdings nichts daran ändert, dass unser oberstes Ziel als Schriftsteller und Künstler Frieden lautet.

 

 

S.J.: Haben Sie jemals darüber nachgedacht, Iran dauerhaft zu verlassen und ins Exil zu gehen?

A.C.: Aus freiem Willen, niemals! Iran ist nicht nur meine Heimat, sondern auch die Heimat meiner Sprache. Und die Sprache ist das Hauptwerkzeug des Schreibenden. Außerdem gibt es auf der ganzen Welt keinen anderen Ort, der mich so stark beeindruckt wie meine Heimatstadt Teheran.

 

 

S.J.: Ihr letztes Buch trägt den englischen Titel „Killing Americans in Teheran“ und setzt sich, ausgehend von einem historischen Mordfall, mit der erbitterten Feindschaft zwischen Iran und den Vereinigten Staaten auseinander. Was sind Ihrer Meinung nach die Hauptursachen für den Hass zwischen den beiden Ländern?

A.C.: Ganz einfach: Öl und die Nachbarschaft zur ehemaligen Sowjetunion! Lassen Sie es mich etwas genauer erklären: Die Iraner sind wütend auf die USA. Der Hauptgrund für diese Wut liegt im Staatsstreich gegen die Regierung von Dr. Mossadegh im Jahr 1953.* Dieser Staatsstreich hat die iranische Seele im Innersten verletzt. Doch wir sollten dies heute als geschichtliche Tatsache hinnehmen und in die Zukunft blicken, statt uns an die Vergangenheit zu klammern.

 

 

S.J.: Nach Jahren des Schweigens und der Drohungen sucht die neue US-Regierung unter Barack Obama nun wieder den diplomatischen Dialog mit Iran. Teheran signalisiert seinerseits unter gewissen Bedingungen Gesprächsbereitschaft. Ist die politische Realität dabei, Thema und Titel Ihres letzten Buches einzuholen?

A.C.: Ich habe mich nie für das alltagspolitische Gebaren von Mächten und Regierungen interessiert. In meinen Romanen setze ich die politischen Ereignisse in einen historischen Kontext. Ich versuche, die Ursachen für die Probleme zu entdecken und zu begreifen, das Antlitz der Realität ungeschminkt zu zeigen. Mir ist bewusst, dass das eine sehr schwierige Aufgabe ist und ich bin mir nicht sicher, ob ich sie immer zufriedenstellend erfülle. Doch ich möchte auch betonen, dass das Politische in meinen Romanen stets im Hintergrund bleibt, das Hauptthema meiner Bücher ist immer der Mensch.

 

 

S.J.: Glauben Sie, dass eine eventuelle Deeskalation der aussenpolitischen Situation Irans auch Auswirkungen auf die Innenpolitik haben könnte? Etwa in Bezug auf die Rechte der Frauen oder, für Sie als Schriftsteller, auf die Meinungsfreiheit?

A.C.: Auf jeden Fall. Der Feind von außen liefert der Regierung unentwegt neue Entschuldigungen für neue Unterdrückung. Daher befürchte ich auch, dass sie, selbst wenn dieser Feind irgendwann gar nicht mehr existiert, einfach einen neuen hervorzaubern wird. Man kann durchaus behaupten, dass der Feind von außen ein geeignetes Mittel ist, den Iran zu regieren.

 

 

S.J.: Man sagt den Iranern nach, dass sie sehr gern über Politik diskutieren. Andererseits berichteten westliche Medien über eine starke Politikverdrossenheit im Vorfeld der letzten Präsidentschaftswahlen 2005. Wie erleben Sie die politische Atmosphäre in Ihrem Land jetzt, wenige Wochen vor den nächsten Präsidentschaftswahlen am 12. Juni 2009?

A.C.: Bei den letzten Wahlen den reformistischen Kandidaten nicht zu unterstützen bzw. nicht zur Wahl zu gehen, war ebenfalls ein Akt der politischen Willensäußerung. Iran ist das Land der Wunder und Überraschungen. Niemand kann wissen, wer diesmal als Sieger aus den Wahlen hervorgeht, aber es ist klar, dass die meisten Kandidaten die Politik der verschiedenen Regierungen der letzten drei Jahrzehnte kritisieren oder sogar verurteilen. Auch wenn einige es vielleicht noch nicht ganz klar formulieren, kann man wohl sagen, dass die Politik der Islamischen Republik Iran in ihrer Gesamtheit von den meisten Kandidaten missbilligt wird.

 

 

S.J.: Die Wahlen im Juni und die eventuellen Auswirkungen der Ergebnisse werden Sie aus dem fernen Berlin verfolgen. Ebenfalls im Juni erscheint im Münchner P. Kirchheim Verlag die deutsche Übersetzung Ihres Romans „The Morals of the Inhabitants of Revolution Avenue“. Worum geht es in diesem Buch und welche Bedeutung hat der Titel für Sie? Würden Sie sich manchmal eine weitere Revolution für den Iran wünschen?

A.C.: Eine Revolution ist genug für jede Nation auf dieser Erde. Sogar mehr als genug! Doch die während einer Revolution gemachten Erfahrungen sind schon deshalb nicht wertlos, weil man aus ihnen lernt, nie wieder eine Revolution zu machen. Statt an einer Revolution sollte man besser an einem Picknick teilnehmen. In meinem Roman geht es um das erste Jahrzehnt der Revolution. Ich habe versucht, meinen Landsleuten mit diesem Buch den Spiegel vorzuhalten und ihnen zu sagen: Schaut euch in diesem Spiegel an. Das seid ihr und das ist die Wirklichkeit, in der ihr lebt!

 

 

S.J.: Ihr Sohn studiert Architektur an der Universität von Teheran. Was wünschen Sie ihm für seine Zukunft?

A.C.: Ich wünsche ihm, dass er in seinem Leben wesentlich andere Erfahrungen macht, als ich sie machen musste.

 

Susanne Jaspers im Gespräch mit dem iranischen Schriftsteller Amir Hassan Cheheltan.