Harte Urteile gegen die iranischen Filmemacher Panâhi, Rasoulof und andere zerstören Hoffnungen. Die Geschichte des Films in Iran aber ist insgesamt reicher und widersprüchlicher, als das Ausland weiß. Von Amir Hassan Cheheltan.
Unlängst sind zwei iranische Filmemacher, Dscha'far Panâhi und Mohammad Rasoulof, rechtskräftig zu Gefängnisstrafen verurteilt worden. Das Berufungsgericht hat sie wegen Handlungen gegen die Sicherheit des Staates und propagandistischer Aktivitäten gegen die öffentliche Ordnung schuldig gesprochen.
Einige Jahre zuvor ist eine junge Schauspielerin, die in einem Hollywoodfilm als Partnerin von Leonardo DiCaprio aufgetreten war, ebenfalls verhaftet und misshandelt worden; sie sah sich gezwungen, das Land zu verlassen.
Ein weiterer Fall, der sich erst kürzlich ereignet hat, betrifft eine andere Schauspielerin. Diese ist, weil sie in einem Film mitgespielt hat, der von den iranischen Kulturbehörden genehmigt worden war, zu einer Freiheitsstrafe und zusätzlich zu neunzig Peitschenhieben verurteilt worden. Die Kollegen dieser Schauspielerin haben in einem offenen Brief protestiert, weil der iranische Film mit seinen schwachen Schultern eine solche Strafe nicht tragen könne.
Ohne Kopftuch und kahl rasiert
In diesem Film pflegt eine junge Frau, deren Rolle von dieser Darstellerin gespielt wird, außereheliche Beziehungen zu einem jungen Mann, und sie gehen zusammen zu nächtlichen Partys, die außerhalb der Stadt stattfinden. Selbstverständlich sehen wir in diesem Film keine Liebesszene, auch die nächtlichen Partys laufen an einem dunklen Ort voller Zigarettenqualm ab, so dass nichts deutlich wahrzunehmen ist. Aber es gibt noch einen anderen Punkt: Diese Frau tritt ohne Kopftuch vor der Kamera auf, denn ihr Kopf ist vollständig kahl rasiert. Nach den Regeln der Scharia muss das Haupthaar verhüllt werden. Einen Kopf, der keine Haare hat, braucht man dagegen nicht zu bedecken.
Der Regisseur dieses Films wirft in einem Interview die Frage auf, ob denn ein Schauspieler dafür haftbar gemacht werden könne, wenn in einem Film eine Straftat begangen werde. Andere Kollegen von ihr weisen darauf hin, dass die Welt des Films doch fiktiv sei und nicht wirklich.
Alle stellen sich in gewisser Weise so, als ob sie nicht hörten, nicht sähen, nicht wüssten. In Iran haben alle gelernt, ihren Abscheu zu verbergen, ja sogar ihren Zorn. Alle fürchten sich davor, ihre Gedanken zu offenbaren. Alle haben inzwischen gelernt, sich in der Sprache der Führenden auszudrücken. Alle fragen einander mit gespieltem, ungläubigem, unschuldigem Erstaunen: "Warum eigentlich? Was ist denn los?" Niemand nennt, doch jeder kennt den wahren Grund.
Aber die heißeste Nachricht auf diesem Gebiet ist dieser Tage die, dass ein im Auftrag der Regierung tätiger Regisseur, der Fernsehserien über das Leben der Heiligen herstellt, das iranische Filmschaffen unlängst als Bordell bezeichnet hat. In einem solchen Klima ist es möglich, dass gelegentlich sogar mittelmäßige iranische Filme wichtige internationale Preise erhalten. Sie sehen also, dass die Lage nicht ganz hoffnungslos ist. Dieses Vorgehen entspricht auch absolut einer gerechten weltweiten Verteilung.
Die Hälfte der Filme stammen noch aus der Zeit des Schahs
Was geschieht im iranischen Film? Spiegelt sich darin nicht ein größerer Skandal wider, in den ganz Iran involviert ist? Seit mehr oder weniger sieben Jahrzehnten gibt es eine blühende iranische Filmindustrie, etwa die Hälfte davon hat in der Zeit des Schahs stattgefunden. Sie ist nach der indischen die größte Asiens.
Vor der Revolution waren diese Filme für breite Schichten der Bevölkerung der hauptsächliche Zeitvertreib. Wie aus den Statistiken hervorgeht, wurden einige von ihnen so gut vom Publikum angenommen, dass so ziemlich alle Einwohner der Städte, in denen es Kinos gab, sie sahen. Die Anzahl dieser Städte war nicht gering und ebenso wenig die ihrer Einwohner.
Die Hauptfiguren der meisten dieser Filme waren ein Mann, der ein Lump war, und eine Frau, die als Tänzerin in einem Café beschäftigt war, und beide wohnten in einem schlechten Viertel der Stadt. Die Tänzerin pflegte unseren Lumpen, der seine Zeit überwiegend bei Gaunereien und beim Schnapstrinken in einem Café zubrachte, zu verführen und sein Familienleben zu gefährden. Aber da der Film-Lump Träger von Traditionen war, die ihren Ursprung in der Religion hatten, fand er schließlich zu seinen Wurzeln zurück, ließ von seinen Sünden ab, trennte sich von der Tänzerin und kehrte heim in den Schoß der Familie.
Der Film endete meist an einer Pilgerstätte, dem Grab eines Heiligen oder in einem Gotteshaus - einem Ort, an den sich unser Lump begeben hatte, um eine Kerze anzuzünden, seine Untaten zu bereuen und sich wieder der unendlichen Barmherzigkeit des Schöpfers anzuvertrauen. Das iranische Publikum liebte diese Filme.
Propagandafilme nicht länger Pflicht
Die Politik des Schahs von Iran war ganz allgemein gegen die Darstellung politischer, gesellschaftlicher, wirtschaftlicher Probleme in Kunst, Film und Literatur. Zu jener Zeit wurde ein Film gedreht, in dem ein Untergrundkämpfer im Haus eines alten Freundes Zuflucht vor Verfolgung sucht und, da das Haus verraten wird, von einem Polizisten in die Luft gesprengt wird.
Um die Erlaubnis zur öffentlichen Vorführung des Films zu erhalten, war der Regisseur gezwungen, aus dem verfolgten Guerrillero einen flüchtigen Dieb zu machen, und natürlich war der Polizist auch nicht mehr genötigt, das Haus in die Luft zu sprengen, da der gejagte Partisan, aus dem ja nun ein Gauner auf der Flucht geworden war, sich voller Reue ergab. Natürlich gab es in dem Film Details, aus denen diese Verbiegungen deutlich wurden, zum Beispiel, dass die Hauptperson ein nachdenklicher, starker Charakter war und keinerlei Ähnlichkeit mit einem flüchtigen Dieb hatte.
Zur selben Zeit kam ein anderer Film in die Kinos, in dem ein dummer Bauer in seinem Dorf einen Schatz entdeckt; mit Hilfe des daraus resultierenden Reichtums beginnt er Torheiten zu begehen. Es bedurfte keiner Erläuterung; alle, die den Film sahen, wussten, dass der dumme Bauer und der Schatz, der ihm in den Schoß gefallen war, ein Gleichnis für den Schah und das iranische Erdöl waren. Dieser Film verschwand nur fünf Tage nach seiner Uraufführung aus den Kinos.
Dem Film vom Lumpen und der Tänzerin indessen stand das Schah-Regime wohlwollend gegenüber, und es unterschätzte seinen Einfluss, Traditionen lebendig zu erhalten, zu propagieren und zu fördern. Das Regime war zufrieden mit seinem unechten Modernismus und das iranische Publikum mit seinem Film. Aber so wie nach dem Glauben der iranischen Linken das Volk zu guter Letzt den Sieg davonträgt, vermochte es das iranische Volk schließlich, das herzergreifende Ende dieser Filme aus den dunklen Sälen der Kinos herauszuholen, um es im strahlenden Licht der Straßen der Städte auszubreiten und jene schöne Welt voll und ganz zur eigenen zu machen.
Die Produktion dieser Filme, in denen es Sex, Tanz und Musik im Überfluss gab und in denen reichlich Wein getrunken wurde - natürlich war es eben das, was sie so anziehend machte -, konnte selbstverständlich nach der Etablierung der Islamischen Republik in Iran nicht fortgesetzt werden, da die Regeln der Scharia all das verbieten.
Die Frauen, die in diesen Filmen einen Teil ihres Körpers entblößt hatten, blieben gezwungenermaßen zu Hause oder wanderten aus. Und plötzlich sah sich der iranische Film ebenso wie der Neubeginn des Theaterspiels mit einem Mangel an weiblichen Schauspielern konfrontiert. Ein junger Regisseur, Anhänger der islamischen Revolution, fand dafür überraschend eine Lösung und verkündete sie lauthals: Es besteht keinerlei Notwendigkeit für die Anwesenheit von Frauen im Film, man kann ja Filme drehen, die ohne Schauspielerinnen auskommen.
Dieser revolutionäre Regisseur lebt nicht mehr in Iran, und natürlich schafft er weiterhin seine staunenswerten Werke. Sämtliche Mitglieder seiner Familie machen Filme, erhalten dafür internationale Preise und widmen diese alle mit vollendeter Großmut den inhaftierten Künstlern und politischen Gefangenen Irans.
Westliche Filme füllten ein Vakuum
Mit dem Verschwinden des Filmschaffens der Schah-Zeit entstand plötzlich ein großes Vakuum. Und bis zum Aufbau eines ihm genehmen Filmwesens durch das Regime - was immer noch nicht ganz gelungen ist - tat sich ein Raum für eine aufgeklärte iranische Filmkunst auf. Plötzlich wurde Tarkowski große Mode. Aber während das neue Regime den aufklärerischen Anwandlungen nicht eben zugetan war, brachte es den Tarkowski-Stil im Film sofort zum Verstummen.
Dann machten einige Cineasten Filme mit Ideen aus der östlichen Weisheitslehre, die überhaupt kein Publikum hatten, und natürlich fand diese Strömung alsbald ein Ende. Auch Propagandaproduktionen, die unter der Bezeichnung "wertvolle Filme" im Auftrag der Regierung gedreht wurden, machten einen Teil dieses reizlosen Filmschaffens aus.
Ausländische Videos und ebenso alte iranische Filme übernahmen sehr bald die Aufgabe, das existierende Vakuum zu füllen. Diese Filme durften auf dem Markt nicht angeboten werden, daher entwickelte sich ein umfangreicher Schwarzmarkt, angefangen von amerikanischen bis hin zu iranischen, indischen und japanischen Filmen, und es entstand ein neuer Schauplatz für ein Katz-und-Maus-Spiel zwischen den Bewohnern Teherans sowie einiger anderer Großstädte und der Regierung.
Praktisch alle jene, die sich diese Filme ansehen wollten, sahen sie, genau wie diejenigen, die alkoholische Getränke konsumieren wollten, diese tranken. In Iran gibt es für alle verbotenen Dinge einen Schwarzmarkt; denn es gibt immer Menschen, die einerseits über die notwendigen Beziehungen verfügen und andererseits unfähig sind, den Versuchungen eines einträglichen, großen Marktes zu widerstehen.
Ein modernes, farbiges Leben
Unter solchen Umständen kamen einige Kulturpolitiker des Landes zu dem Schluss, sie könnten durch eine Erweiterung des Freiraums für die iranischen Filmschaffenden die Verheerungen des Zugriffs der Konsumenten auf unerlaubte und der Scharia widersprechende Filme verringern. Es war klar, dass diese Filmwirtschaft unter der Kontrolle der Kulturbehörden verbleiben würde, aber es wurde beschlossen, dass sie daneben durch Wettbewerb belebt werden solle.
Daraufhin wurden die Rahmenbedingungen verändert, und die Produzenten waren nicht mehr gezwungen, Filme herzustellen, die nur der Propaganda dienten und kein Publikum fänden. Aber was für Filme sollten das sein - ohne Sex und Politik?
Eine Weile behandelten die iranischen Filmemacher Themen wie Scheidung und Sucht, aber es war offenkundig, dass sie nicht in alle Ewigkeit damit fortfahren konnten. Schöne Frauen - natürlich unter dem Schutz einer islamischen Kopfbedeckung - und gut aussehende junge Männer traten auf. Ein modernes, farbiges Leben wurde zum Thema der Filme. Darin spielen die Menschen Tennis, laufen Ski und verbringen die Wochenenden in Villen am Meer.
Ihre Sonnenbrillen sind teuer und Markenware, ihre Kleidung und ihre Armbanduhren ebenso. Manchmal wird der Schauplatz zur Steigerung der Anziehungskraft teilweise in die Türkei, nach Bulgarien oder in die Ukraine verlegt, und natürlich tun alle so, als wären sie in Westeuropa. Und plötzlich fanden die iranischen Zuschauer und insbesondere die jungen Leute ein Filmschaffen nach ihrem Geschmack.
Iraner können Englisch, nur die Regierenden nicht
Das ist nicht nur eine historische Wahrheit, sondern auch eine psychologische - die Soziologie hat die Interessen der iranischen Menschen ebenfalls immer im Gegensatz zu den Interessen der Regierenden gesehen, und seit ein, zwei Jahrzehnten bekundet sie Interesse am Film, der den westlichen Lebensstil mit allen verborgenen und offenkundigen Merkmalen zeigt. Der Schah hat dem Einfluss des damaligen Kinos keine Aufmerksamkeit geschenkt, aber die derzeitigen Regierenden sind sich seiner Wirkung bewusst.
Die vom Westen vorgegebenen Themen, seien sie nun gut oder schlecht, sie sind es, die das Leben von heute bestimmen. Der Gegensatz der iranischen Regierenden dazu zeigt sich in allem und jedem. Während man Millionen Iraner fragen kann, die fließend und korrekt Englisch reden, hat man unter all jenen, die Iran regieren, nicht einmal eine einzige Person zu finden vermocht, die diese Sprache auf internationalen Plattformen ohne offensichtliche Fehler zu sprechen in der Lage wäre; man vergleiche das bitte mit Irans Nachbarländern.
Kürzlich ist im Internet ein Foto veröffentlicht worden, das die Dächer eines kleinen Teils der Häuser von Teheran zeigt. Das Bild ist von oben aufgenommen worden und zeigt, dass zumindest in diesem Viertel der Stadt alle Dächer mit Satellitenschüsseln gekrönt sind. Außerdem hat durch das Internet und den leichten, schnellen Zugang der Iraner zu allen Arten ausländischer Filme das Thema der Verführung der jungen Iraner durch das Anschauen iranischer Filme, deren Regisseure verhaftet werden, seine Bedeutung verloren.
Ein größeres Problem ist, dass der iranische Film seine Grenzen zu erkennen hat oder, um es mit einem iranischen Sprichwort zu sagen, seinen Schritt der Länge seines Kelims anpassen muss. Allerdings sind es die Regierungen, welche die Länge des Kelims festlegen.
Amir Hassan Cheheltan
© Frankfurter Allgemeine Zeitung 2011
Von Amir Hassan Cheheltan erschien zuletzt der Roman "Amerikaner töten in Teheran".
Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de