In Iran besteht kein Einvernehmen zwischen der Bürgerschaft und ihren Regenten, und auch darüber, wie das Land zu regieren sei, herrscht Uneinigkeit. Folglich werden viele Entscheidungen nicht anerkannt, sondern vielmehr mit misstrauischem Grinsen betrachtet. Ein Beispiel dafür lieferte jüngst der Transport von dreißig wertvollen Kunstobjekten aus den Beständen des Teheraner Museums für zeitgenössische Kunst nach Berlin. Ich weiß, in vielen Gesellschaften kann die öffentliche Meinung über den Willen einer Regierung triumphieren und sie sogar stürzen, doch in Iran ist das normalerweise nicht so, denn hierzulande sind die Kommunikationskanäle verstopft, und die gesellschaftlichen Eliten, die hin und wieder Anlass haben, sich in offizielle Geschäfte einzumischen, sind den Regierungsverantwortlichen lästig.

Weil Gespräche zwischen Vertretern der Kunstszene und der Regierung ausblieben, verweigern Erstere dem Projekt des Versands der potentiellen Leihgaben ihre Unterstützung, weshalb diesmal ausnahmsweise nicht ausgeschlossen ist, dass der Plan scheitert - obwohl alle Gegner des Unterfangens zugestehen, der Leihverkehr zwischen Museen weltweit sei ein einfacher Vorgang und unter normalen Umständen gängige Praxis. Doch sind unsere Umstände normal?

 

Sie könnten beansprucht werden – oder gefälscht sein


Ein berühmter Galerist hat den Versand der Stücke aufgrund mangelnder Transparenz und Geheimhaltung des Transportablaufs in Frage gestellt und erklärt: „Wir wissen noch nicht, welche dreißig Stücke ausgewählt wurden, und Antworten auf unsere Fragen ist man uns schuldig geblieben. Wir haben daher allen Grund, skeptisch zu sein, weil die Sache negative Folgen haben könnte.“

Er erläutert diese negativen Folgen näher: „Einige Werke des Museums sind beschlagnahmt. Sie gehören der Pahlawi-Familie oder deren Nachkommen, die, falls die Stücke außer Landes gebracht werden, gerichtlich erwirken können, dass sie wieder in ihren Besitz übergehen.“

Das aber ist nur die halbe Wahrheit; Gerüchten in sozialen Netzwerken zufolge wurden einige der in Rede stehenden Stücke bereits aus dem Museum entfernt und durch Fälschungen ersetzt.

Seit 1991 sind aus dem Iranischen Nationalmuseum 410 antike Stücke verschwunden, 400 Gold- und Silbermünzen, sechs Federkästen, eine steinerne Inschrift, ein Gemälde sowie eine goldene und eine silberne Schrifttafel. Trotz jahrelanger Suche hat sich bis heute keine Spur gefunden, die zur Aufklärung des Diebstahls geführt hätte. Er erinnert an einen Raub nach Art des IS oder der Taliban.

 

Nur der Sittenverfall kann sie zu Fall bringen


Unter den verschwundenen Objekten ist der Verlust der Gold- und Silbertafeln aus der Zeit der Achämeniden besonders traurig. Die wertvollen Schrifttafeln, vor achtzig Jahren bei Ausgrabungen in Persepolis entdeckt, gingen innerhalb des Landes auf dem Weg von einem Museum in ein anderes verloren. Das Verschwinden der Stücke wurde zwanzig Jahre lang verschwiegen, und als es offenbar wurde, leiteten die iranischen Justizbehörden ein Verfahren ein. Während die silberne Schrifttafel mittlerweile gefunden wurde, ist nach wie vor ungeklärt, wie das goldene Gegenstück abhandenkommen konnte. In ihren Presseerklärungen hat die iranische Justizbehörde weder den Namen des der Tat Beschuldigten bekanntgegeben noch verlauten lassen, welche Untersuchungen eingeleitet wurden, wobei der Angeklagte, Gerüchten zufolge, gestanden hat, die Goldtafel eingeschmolzen und das edle Metall verkauft zu haben.

 

So oder so: Die Außenminister sollten sich treffen


Kein Tag vergeht ohne Zeitungsberichte über Korruption in Behörden oder staatlichen Einrichtungen. Die Bevölkerung glaubt, was an die Öffentlichkeit dringt, stelle nur die Spitze des Eisbergs. Seit langem hegen die Amtsträger in Iran den Traum, nach Gutdünken und von der Gesellschaft unbeaufsichtigt schalten und walten zu können. Aus diesem Traum müssen sie aufwachen. Vielleicht hat deshalb einer jener Amtsträger kürzlich erklärt: „Es war vorgesehen, die Stücke Ende November nach Berlin zu verschiffen, doch da es Einwände gab, geschieht das entweder später, oder das Projekt wird vermutlich, auf Weisungen von höchster Stelle hin, vollends gestrichen.“

Iranischen Presseberichten zufolge hat der deutsche Außenminister seinen iranischen Amtskollegen Zarif zur Einweihung der Ausstellung jener nach Deutschland zu verbringenden Leihgaben nach Berlin eingeladen. Und Herr Zarif tut gut daran, diese Einladung anzunehmen und sich auch dann mit seinem Amtskollegen zu beraten, wenn das Projekt des Versands iranischer Kunstobjekte nach Berlin scheitert.

 

Ein Mann der feinen Hemden


Geht es beim Erfahrungsaustausch unter Politikern nicht auch um Beratungen darüber, wie man seine Verantwortung noch besser wahrnehmen kann? Dann bietet es sich an, den Umgang der durch die beiden Gesprächspartner vertretenen Regierungen mit ihren Schriftstellern, die Ausübung von Zensur und eine Reihe weiterer kultureller Themen zu erörtern. Vielleicht greifen die Deutschen die Erfahrungen einer Regierung, der Herr Zarif als Außenminister angehört, auf und setzen sie um; seit Trumps Wahlsieg in den Vereinigten Staaten ist jetzt überall alles möglich.

Nicht, dass der Eindruck entsteht, Herr Zarif zähle zu jenen Fundamentalisten, die keine Krawatte tragen, keinen Wein trinken und Frauen nicht die Hand geben. Dieser Eindruck ist falsch. Herr Zarif hat in den Vereinigten Staaten studiert, bis vor Kurzem Zigarren geraucht, und seine Kinder hatten Musikunterricht (im iranischen Fernsehen ist das Zeigen von Musikinstrumenten verboten); er nutzt soziale Netzwerke (Facebook wird in Iran gefiltert); er trägt von einem Schneider in New York angefertigte Maßhemden und hat sogar sein eigenes Label. In jedes seiner Hemden sind die schönen Buchstaben Dsche und Zad gestickt, die Initialen seines Vor- und Zunamens, Dschawad Zarif. Auch in seine Manschettenknöpfe, von seiner Tochter entworfen, sind die Initialen eingraviert! All das hat der iranische Außenminister einem Interviewer mitgeteilt. Es macht ihn zu einem würdigen Gesprächspartner für seinen deutschen Amtskollegen.

 

Sehnsuchtsort Buchmesse in Frankfurt - als Ehrengast


Vielleicht übernimmt dieser ja die Auffassung des Herrn Zarif, der zufolge freie Schriftsteller von einer unabhängigen Organisation absehen, sich einem der offiziellen Literaturverbände anschließen, Auftragsromane schreiben und so ein gutes Gehalt beziehen könnten. Anders als offizielle Organisationen bereiten freie Autorenverbände mit ihren vielen Anliegen den Regierenden beständig Kopfzerbrechen, nicht zuletzt mit ihrer Forderung nach der Aufhebung der Zensur. Man bietet ihnen am besten keinen Raum, hindert sie an ihrer Arbeit, da sie ohnehin keine Schriftsteller sind, ihre Bücher die Jugend verführen und den gesellschaftlichen Verfall begünstigen. Dessen ungeachtet kann man ihre Werke prüfen und unter der Voraussetzung veröffentlichen, dass unerwünschte Passagen gestrichen werden.

Jene Herren haben die Veröffentlichung meines Romans „Amerikaner töten in Teheran“, 2011 in Deutschland erschienen, an die Bedingung geknüpft, dass 19 Passagen, einschließlich eines ganzen Kapitels, entfallen. Der Roman hat insgesamt sechs Kapitel.

Freie Schriftsteller in Iran sind nicht einmal nach ihrem Tod vor Belästigung sicher. Ihre Grabsteine werden nach und nach zerstört. Das jüngste Beispiel ist der Grabstein eines berühmten, im vergangenen Jahr verstorbenen Dichters. Der Stein, von einem jungen Künstler entworfen und gefertigt, wurde erst zerstört, dann mit Zement übergossen. Wie schon in den vielen Fällen zuvor hat auch diesmal niemand die Verantwortung für diese Zerstörung übernommen. Es ist gut, wenn Herr Zarif seinem Amtskollegen diese Erfahrungen zur Kenntnis bringt.

Die Regierung, zu deren wichtigen Mitgliedern Zarif zählt, wünscht sich sehnlich, Iran möge in naher Zukunft Ehrengast der Frankfurter Buchmesse werden. Wie groß dieser Wunsch ist, zeigte sich im vergangenen Jahr, als man in Abwesenheit freier Schriftsteller aus Iran eine schöne junge iranische Kinoschauspielerin als Autorin entsandte, ein Touristenmagnet am Messestand von Iran. Auf die Frage des über den Beruf der jungen Schauspielerin informierten Journalisten der BBC, was sie mit der Buchmesse verbinde, entgegnete sie, sie denke darüber nach, in Zukunft ihr erstes Buch zu schreiben!

 

Wer die Zensur aufhebt, kann schenken, was er will


Wie Sie sehen, ist angesichts solcher von den Herren Kulturbeauftragten unternommener Schritte Misstrauen nicht unangebracht. Kürzlich begann eine landesweite Kampagne unter dem Motto „Bücher statt Blumen“. Presseberichten zufolge beteiligt sich auch Außenminister Zarif an dieser Kampagne und sagt: „Meine Hoffnung ist, dass man einander bei allen Veranstaltungen und festlichen Anlässen im Land Bücher schenkt statt Blumen.“

Herr Zarif, Blumengeschenke sind eine sehr schöne Sache. Warum soll man sie durch etwas anderes ersetzen? Statt solcherlei Ratschläge zu geben, täten Sie besser daran, von Ihrem Kollegen im Ministerium für Islamische Führung zu fordern, dass er die Zensur aufhebt und die Hindernisse ausräumt, die der Veröffentlichung meiner Werke und der meiner Kolleginnen und Kollegen im Wege stehen.

Doch das werden Sie nicht tun, und mir bleibt nichts anderes übrig, als die Worte Ihrer Gattin zu bekräftigen, die sie in einem Interview einmal gesagt hat: „Die Welt der Politik ist schmutzig.“

 

 

BY:F.A.Z