Die Gegenwart des literarischen Lebens in Iran ist schwierig. Die Veröffentlichung eines Werkes bedarf enormer Vorarbeit und die Schriftsteller müssen bestimmte Regeln einhalten: Figuren dürfen nicht fluchen, keinen Alkohol trinken und auf Partys gehen.
Der Valiasr-Platz liegt im Zentrum von Teheran, eingekastelt von nackten Nutzbauten aus rohem Beton. Ringsum Neonreklame, Fastfoodküchen, Geschäfte voll China-Textilien. Bettelkinder mischen sich in den Strom der Passanten, stecken ihnen für ein paar Cent kleine Umschläge zu. Ein bärtiger Mann ist auf das Papier gezeichnet, er stützt sich auf ein Buch und blickt nachdenklich ins Ungefähre. Es ist Hafis, der große Dichter aus dem 14. Jahrhundert. In den Umschlägen liegen Passagen aus seinen Gedichten. Viele Iraner glauben, dass die Verse ihnen die Zukunft voraussagen.

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Ein Schriftsteller im Iran zu sein, ist manchmal schwer. Im Bild eine Demonstration gegen den Schriftsteller Salman Rushdie und sein Buch 'Die satanischen Verse'. (Foto: Reuters)

Während Persien in der Vergangenheit bedeutende Lyriker wie Hafis, Rumi oder Khayyam hervorbrachte, deren Werke den Alltag in Iran noch immer durchsetzen und die Sprache seiner Bewohner prägen, ist die Gegenwart der einheimischen Literatur unsicherer denn je. "Heute sieht man kaum noch Anzeichen für ein literarisches Leben in Iran. Schriftsteller müssen sich immensen Herausforderungen stellen, ehe ihre Bücher gelesen werden können", schreibt der Teheraner Journalist Saeed Kamali Dehghan. Seit der islamischen Revolution vor 30 Jahren sind Autoren und Verlage strengen Vorschriften unterworfen. Die Grenzen des Zulässigen haben sich mal erweitert, mal zusammengezogen. Mit dem Antritt von Präsident Mahmud Ahmadinedschad 2005 jedoch kam der Literaturbetrieb fast zum Stillstand, schildert Kamali Dehghan: "Die Repression der gegenwärtigen Regierung hat das Verlagswesen in die Krise gestürzt."

 

 

Menschen der Revolutionsstraße

Die mehrfach preisgekrönte Schriftstellerin Mitra Elyati konzentriert sich dieser Tage vorrangig auf ihre Arbeit als Chefredakteurin eines literarischen Online-Magazins. Die Autorin ist eine stille Frau Ende 50 mit schulterlangen Haaren und zurückhaltenden Gesten. In ihren Kurzgeschichten wirft sie präzise Blicke auf die Struktur menschlicher Beziehungen, vor allem innerhalb der Familie, und formuliert ihre Beobachtungen in klarer, nüchterner Sprache. "Wir leben nun einmal in der Islamischen Republik, und danach müssen wir uns richten, auch wenn es schwer ist", sagt sie kühl. Schriftsteller sind verpflichtet, jedes neue Buch im Ministerium für Kultur und religiöse Führung prüfen zu lassen. Dort liegt es dann hinter verschlossenen Türen, über Monate, manchmal Jahre hinweg. Mitra Elyati räumt ein, dass sie die Richtlinien der Zensur schon beim Schreiben im Kopf hat. "Es ist unmöglich, über Sex zu sprechen. Man sollte nicht einmal das Wort ,Brust‘ verwenden", erklärt sie. "Die Figuren dürfen nicht fluchen, keinen Alkohol trinken und nicht auf Partys gehen."

Politik und Religion sind tabu. Doch wo genau die Grenzlinien verlaufen, ist unklar, Freiräume verschieben sich ständig. Ab und an erteilt der Staat seine Zusage, nur um sie wieder zurückzuziehen, wenn das fertige Buch in den Handlungen liegt. Zudem sei in den vergangenen vier Jahren keine einzige Lesung eines unabhängigen Autors genehmigt worden: "Literatur ist aus dem öffentlichen Leben verdrängt worden." So erstickten die Restriktionen mittlerweile bereits den Antrieb zur literarischen Produktion. "Ein Schriftsteller schreibt, um gelesen zu werden", betont Mitra Elyati. "Deswegen haben viele keine Motivation mehr, überhaupt noch ein neues Buch anzufangen."

Nun stehen Präsidentschaftswahlen an. Mangels verlässlicher Erhebungen bleibt unklar, ob sich ein moderaterer Kandidat durchsetzen kann. Unter Ahmadinedschads Vorgänger, dem Reformer Mohammed Chatami, war die Zensur so stark gelockert worden, dass die iranische Literatur vorübergehend aufblühte. Setzt Mitra Elyati Hoffnung in einen Führungswechsel? Sie schweigt, neigt den Kopf. Sie äußert sich sichtlich ungern über Politik. "Es ist schwer zu sagen, was die Zukunft bringt, doch unter Chatami hat sich gezeigt, dass unsere Situation besser sein könnte."

Von dem ruhigen Wohnviertel geht es hinaus in die Stadt, die schmalen Straßen führen auf mehrspurige Autobahnen, die weite Schleifen um den Kern der 15-Millionen-Metropole ziehen. Plakate mit dem Porträt von Ayatollah Chomeini ziehen am Fenster vorbei, auf Brückenpfeilern mahnen religiöse Sprüche zur Einkehr. Am Boden tost der Verkehr, in der Luft hängt großkörniger, schwarzbrauner Abgasnebel. Abends brennt Müll in den Straßengräben der südlichen Vororte, zusammengesunkene Greise hocken auf dem Bürgersteig und grillen Fleischspieße, an einer Straßenecke schlägt ein Sittenpolizist einem Jungen ins Gesicht, der sich Muster in seine Augenbrauen rasiert hat.

Es ist dieses Teheran, das Amir Hassan Cheheltan interessiert, die wuchernde Megacity, die "Letzte Station vor der Hölle", so der Titel eines Essays, der 2007 in der Süddeutschen Zeitung veröffentlicht wurde. Seine Protagonisten sind einfache Menschen, die versuchen, sich in dem urbanen Inferno ein Leben aufzubauen. Sein Roman "Die Sitten der Menschen der Revolutionsstraße" soll bald in Deutschland zu haben sein. In Iran hat ihn Cheheltan gar nicht erst der Zensur vorgelegt: "Für dieses Buch besteht keine Chance", sagt er. "Es kann hier nicht erscheinen, das will ich auch gar nicht, unter diesen Umständen könnte mir das Probleme machen." In dem Roman geht es um den Aufstieg eines Hymenoplastikers in Teheran - eines Arztes, der Jungfernhäutchen wieder zusammennäht.

Amir Hassan Cheheltan ist einer der wenigen Schriftsteller in Iran, die von ihrem Beruf leben können. Er sitzt nahezu reglos in seinem Wohnzimmer, umgeben von hohen Bücherregalen. Er ist niemand, der sich das Wort verbieten lässt. "Sex und Politik", sagt er, "das sind zwei Themen, ohne die Literatur nicht auskommt." Er formuliert seine Kritik stets scharf, oft beißend ironisch. Doch er kennt die Folgen von freien Gedanken in Iran, er hat miterlebt, wie in den späten 90ern mehrmals Leichen ermordeter Schriftsteller aufgefunden wurden. Er selbst entkam zwei Anschlägen. Nun hat er in offenen Briefen und Essays gegen die zunehmende Verschärfung der Staatskontrolle protestiert. "Die Zensur als Mittel zur kulturellen Kontrolle dient in Wahrheit der gesellschaftlichen Kontrolle und ist insofern eine rein politische Angelegenheit", schrieb er vor einigen Monaten. Trotzdem wird er am 12. Juni nicht wählen gehen, aus Prinzip nicht. Amir Hassan Cheheltan hat kein Vertrauen in das politische System der islamischen Republik. "Zeitgenössische Literatur ist in Iran manchmal stärker bedroht und manchmal weniger", sagt er, "aber in einer schwierigen Lage ist sie immer."

 

 

Experten in der Behörde

Von 659 Büchern, die unter Chatami die Erlaubnis zur Veröffentlichung erhalten hatten, wurden 518 von Ahmadinedschads Regierung wieder zurückgezogen. Die Zensoren bemängelten, die Werke würden Leser zu unehelichen Verhältnissen ermuntern, sich über Glaubensinhalte lustig machen und säkulare Sichtweisen propagieren. Auch zahlreiche Übersetzungen können seither nicht mehr erscheinen, Werke von Gabriel García Márquez, James Joyce, Dan Brown, Virginia Woolf, Heinrich Böll.

Media Kashigar hat die Werke von rund 30 französischen Lyrikern ins Persische übersetzt, wie von Mallarmé und Lautréamont. Kashigar hat seinen Weg gefunden, sich mit den Beschränkungen zu arrangieren: "Man muss nur kreativ genug sein, die Verbote zu umgehen", meint er. "Das macht sogar Spaß, weil dabei die eigenen Fähigkeiten auf die Probe gestellt werden." Er macht sich beim Übersetzen den Reichtum der persischen Sprache zunutze, Zweideutigkeiten, semantische Nuancen. Kashigar sieht die Zensur als intellektuelle Herausforderung, zumal er in der Behörde literarischen Experten gegenübersteht, erzählt er: "Es gibt sogar Schriftsteller, die heimlich als Zensoren arbeiten, um ein bisschen Geld zu machen."

Mit Büchern ist kaum noch Gewinn zu machen, Lesungen finden im Verborgenen statt. Mehr und mehr Autoren umgehen die Zensur, indem sie ihre Werke privat herausgeben und unter der Hand verteilen. Mittlerweile ist die Zahl der abgelehnten Werke so groß, dass es in Teheran einen eigenen Literaturpreis für unveröffentlichte Bücher gibt, ebenfalls illegal. Die meisten legalen Auszeichnungen hingegen werden derzeit nicht verliehen, weil schlicht nicht genügend Bücher auf den Markt kommen. Media Kashigar, selbst Präsident des prestigeträchtigen Roozi-Rozegari-Preises, bestätigt, dass in diesem Jahr, wie schon im vergangenen, kein einheimischer Roman prämiert wird. "Angesichts der Leere kann man keine Preise vergeben."

Text: GABRIELA M. KELLER
Foto: Reuters

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