Die Geburt des Sturms
langes, persönliches Gespräch mit Ajatollah Khomeini und reiste kurz darauf wieder ab. Sein Besuch im revolutionären Teheran markierte den Beginn wachsender Spannungen, durch die der Krieg zwischen Arabern und Israelis ohne Weiteres zu einem Krieg zwischen Iran und Israel hätte werden können. Khomeini, der sein entsprechendes Talent bereits bei ähnlichen Anlässen unter Beweis gestellt hatte, übernahm die Führungsrolle in diesem neuen Krieg.
Die arabischen Länder atmeten – nach ihren diversen Kriegen mit Israel, 1948 begonnen und in zwei Wellen 1967 und 1973 ohne nennenswerte Erfolge geblieben – erleichtert auf, überließen Khomeini gern ihre Rolle und waren froh, der Last ihres Konflikts mit Israel ledig zu sein. Khomeini, vom großen Wunsch beseelt, als der starke Retter der muslimischen Welt in die Geschichte einzugehen, bekundete diesen Wunsch mit der Fatwa zur Ermordung Salman Rushdies bald öffentlich und versuchte die arabische Welt davon zu überzeugen, dass er seine neue Rolle kompetent auszufüllen verstand.
Während seine Parolen um die Vernichtung Israels kreisten und die Araber, vor allem die unter israelischer Besatzung leidenden Palästinenser, begeisterten, brachte diese Begeisterung Khomeini dazu, seine stetigen Verbalattacken gegen Israel noch zu verstärken.
Die Verteidigung Palästinas
In den ersten Monaten nach der Iranischen Revolution waren neben den religiösen auch politisch linke und radikale Kräfte Anhänger der palästinensischen Befreiungsbewegung. Sie sahen Israel als Aggressor und Besatzungsmacht und in der Appeasement-Politik des Schahs ein Zeichen für dessen Akzeptanz der Politik der US-Amerikaner. Im Rahmen der damals herrschenden Rivalität unter politischen Gegnern des US-Imperialismus fiel es den religiösen Kräften schwer, anzuerkennen, dass die linken Kräfte diesen Kampf offenbar ernsthafter, entschlossener und nachhaltiger führten. Die Rivalität erreichte mit der Besetzung der US-amerikanischen Botschaft in Teheran durch Khomeini-treue Studierende inen weiteren Höhepunkt und bewegte Teile der linksgerichteten. Kräfte dazu, sich Khomeinis Kampf gegen den US-Imperialismus anzuschließen.
Bald schon wurde die Opposition gegen Israel zu einem identitätsstiftenden Element der Islamischen Republik und bekam in der Innen- und der Regionalpolitik so viel Gewicht, dass eine Abkehr von ihr zunehmend schwieriger und eines Tages ganz unmöglich wurde. Mit der Besetzung der Botschaft der USA als starkem Unterstützer Israels erreichte die Israelfeindlichkeit eine neue Phase und zog das iranische Volk in eine politische Kampagne hinein, die es teuer zu stehen kam.
Akbar Hashemi Rafsanjani, einflussreicher Pragmatiker auf der politischen Bühne der Achtzigerjahre, sagte später: «Eines der wichtigsten Themen, die während der Regentschaft des Khomeini hätten geklärt werden müssen, war Irans Verhältnis zu den Vereinigten Staaten. In Iran hatte allein er die Macht dazu. Ein Dauerkonflikt mit Israel ist nicht in unserem Interesse. Leider wurde uns die Möglichkeit der Lösung des Problems durch den Tod des Ajatollahs genommen.»
Bald blieb das Thema der Vernichtung Israels nicht mehr auf Parolen beschränkt. Irans islamische Regierung investierte zunehmend mehr Geld in Nachbarländern der Region, stieß Entwicklungen an, schuf Organisationen, die Israel unter
Druck setzten und die USA sowie andere Länder der Region zu Sicherheitsgarantien für Israel zwangen. Diese Organisationen, »Achse des Widerstands« genannt, weiteten ihren Einfluss im schiitischen Halbmond – Irak, Syrien, Libanon – sowie in Palästina stark aus und riefen in diesen Ländern zahlreiche Gruppierungen ins Leben oder stärkten dort bereits bestehende Gruppen.
Iraner und Araber
Weiten Teilen der iranischen Bevölkerung war der Konflikt zwischen der Islamischen Republik Iran und Israel gleichgültig. Sie betrachteten die Feindseligkeiten als Teil der Ideologien, über die Irans Herrscher sich definierten, und schenkten ihnen deshalb keine Beachtung. Dabei darf man allerdings nicht außer Acht lassen, dass viele Iraner aus historischen Gründen keine große Zuneigung zu den Arabern empfinden.
Zudem fühlen sich viele Menschen hierzulande durch den radikalen Islamismus der aktuellen Regierung und durch deren Missachtung vieler nationaler und historischer Symbole iranischen Kulturguts an die Überfälle der Araber vor vierzehn Jahrhunderten erinnert. Die mangelnde Empathie für die Araber steigerte sich, insbesondere durch Saddam Husseins Angriffskrieg gegen Iran im Jahr 1980, zu einer Abneigung gegen sie, die den Iranern einst den Islam gebracht hatten.
Zugleich war in den Achtzigerjahren, als es weder Internet noch soziale Medien oder Satellitenfernsehen gab, Radio Israel das einzige Medium, das ernsthaft gegen Irans islamische Regierung Position bezog und durch seine inoffiziellen erichte über die gewaltsame Unterdrückung Andersdenkender Anhänger gewann. Weil der Sender auch die Musik beliebter iranischer Sängerinnen und Sänger spielte, die das Regime entweder verboten oder ins Exil getrieben hatte, nahm er auch unpolitische Hörerinnen und Hörer für sich ein. Unterdessen wurden die Parolen der Islamischen Republik gegen Israel radikaler, die langfristige Planung einer Konfrontation mit dem Land verschlang Unsummen. Die iranische Gesellschaft indes distanzierte sich zunehmend vom Konflikt zwischen Arabern und Israelis, sah in ihm ein Problem, das andere Menschen betraf, und zerbrach sich immer seltener den Kopf darüber.
Die nützliche Parole von der Vernichtung
Aufmerksame Beobachter der Lage in Israel und Palästina konstatierten seit Jahren, dass die Parolen über Vernichtung es Israels Regierungen ermöglichten, sie propagandistisch auszuschlachten und sich auf internationaler Ebene als Opfer zu gerieren. In deren Schatten übten sie wachsenden Druck auf die Palästinenser aus, ohne im Westen auf ernsthaften Widerstand zu stoßen.
Insbesondere wenn in Israel rechtsgerichtete Kräfte an der Macht waren, stellten diese die von Iran ausgehende Gefahr der Vernichtung Israels als übertrieben bedrohlich dar und knüpften ihre Sicherheit, im Einvernehmen mit den US-
Amerikanern, allein an die Zerschlagung der Islamischen Republik. Immer war in israelischen Regierungskreisen unterschwellig von einem Präventivschlag die Rede. Damit Israel den Schritt von entsprechenden verbalen Drohungen
hin zu ernsthaften Aktionen gehen konnte, fehlte allerdings etwas. Diese Lücke hat die Islamische Republik selbst geschlossen, als sie die Arbeit an ihrem Atomprogramm aufnahm.
Iran als Nuklearmacht
Irans Raketenpläne und sein Atomprogramm standen von Beginn an unter der argwöhnischen Beobachtung des Westens, allen voran Israels. Sie verfügten über ausreichende Gründe für dieses Misstrauen. Einer war das Schreiben des
Kommandeurs der Revolutionswächter, Mohsen Rezaee, an Ajatollah Khomeini, in dem er anlässlich des Irak-Iran-Kriegs auf die Notwendigkeit einer Atomwaffe hinwies, mit der man den Krieg gewinnen könne. Später wurde auf einer Langstreckenrakete vor einem Testflug ein Slogan zur Auslöschung Israels angebracht.
Das Bild dieser Rakete samt des auf ihr geschriebenen Slogans, das in zahlreichen staatlichen Publikationen veröffentlicht wurde, lieferte Israel ein Dokument, das dem Land auf internationaler Ebene und im Kreise derer, die Irans
Atomprogramm ablehnten, bewies: Israels Vernichtung ist der Hauptgrund für Irans Herstellung einer Nuklearwaffe.
Indem man die Bedrohung durch Irans
Raketenabwehrsysteme und seine Atomwaffenfähigkeit übertrieb, überzeugte man den Westen davon, dass hier Lösungen gefunden werden mussten. Der Westen nutzte weitreichende Sanktionen, die Iran unter starken ökonomischen Druck setzten, als wichtiges Werkzeug zur Kontrolle und Einschränkung des iranischen Atomprogramms. Die Internationale Atomenergiebehörde IAEA benannte als dritte Partei in dieser Auseinandersetzung in ihren Berichten den einen oder anderen fragwürdigen Aspekt und forderte Iran zu mehr Transparenz auf. Gelegentlich wurden auch Aktivitäten entdeckt, die sich der Überwachung der Organisation entzogen hatten, was Zweifel und Misstrauen weiter verstärkte.
Nuklearmacht um welchen Preis?
Irans Mittelschicht steht am Abgrund zur Armut. Der Brotverbrauch hat zugenommen, doch der Fleischverbrauch ist auf ein Sechstel gesunken. Wirtschaftsberichten zufolge ist das Preisniveau im Land während der vergangenen fünfzig
Jahre um das Dreizehntausendfache gestiegen. Eine galoppierende Inflation von vierzig Prozent, hohe Arbeitslosigkeit, Rezession, wachsende Armut, Ungerechtigkeit, Diskriminierung sowie das extreme Ungleichgewicht bei der Verfügbarkeit von Energie, Wasser und geschützter Umwelt haben zu einem bisher nie gekannten Ausmaß an Unzufriedenheit in der iranischen Bevölkerung geführt. Zudem verstärken die Sanktionen der USA und anderer westlicher Länder, die Bereitstellung beachtlicher geheimer Budgets für Atomprogramme und die strukturelle Korruption auf Regierungsebene diese Unzufriedenheit ungemein.
Parallel zur Opposition des Westens und Israels gegen das iranische Atomprogramm, begleitet von harten Sanktionen, trat die Freiheitsbewegung der iranischen Bevölkerung, die in unterschiedlichen Formen seit dem Bestehen der Islamischen Republik mal schwächer, mal stärker präsent war, mit der umstrittenen Präsidentschaftswahl im Jahr 2009 in eine neue Phase ein.
Infolge von Benzinpreissteigerungen im Jahr 2017 erfuhr sie neuen Schwung, griff 2019 landesweit um sich und erreichte 2022 mit der «Frau, Leben, Freiheit!»-Bewegung einen vorläufigen Höhepunkt, der international breiten Widerhall
fand und dem iranischen Regime große Schande bescherte. Diese Bewegung verliert nie den Blick für die Außenpolitik Irans, die den unnötigen Konflikt mit Israel und den USA schürt. Die Menschen gehen auf die Straße und schreien mit
»Nicht Gaza, nicht Libanon, mein Leben für Iran!« ihren Protest gegen die abenteuerliche Politik der Islamischen Republik Iran in der Region heraus.Die Konfrontation mit dem Westen und mit Israel wird lediglich von der Minderheit unterstützt, die die Geschicke des Landes lenkt. Sie hat – trotz internationaler Sanktionen – durch intransparente, auf Abwegen abgewickelte Handelsgeschäfte solch riesigen Reichtum angehäuft, dass es ihr schwerfällt, darauf zu verzichten – und genau aus diesem Grund widersetzt sie sich heftig jeder Politik, die auf Deeskalation abzielt. Gebetsmühlenartig wiederholen ihre Vertreter überholte Parolen vom verstorbenen und vom aktuellen Landesführer und blockieren damit jeden Weg in Richtung Frieden.
Ein begrenzter Rückzug
Der Mangel an Vertrauen in die Regierung, der zuletzt bei den Wahlen offenbar wurde, hat diese zu einem bedeutsamen Rückzug veranlasst. An der Präsidentschaftswahl im Jahr 2021 beteiligten sich in Teheran lediglich fünfzehn Prozent
der Wahlberechtigten. Ein deutliches Anzeichen für das Einlenken der Regierung war die Zulassung des Kandidaten Masoud Pezeshkian zu der Wahl im vergangenen Jahr, nachdem er, als Kritiker der aktuellen Politik, den Filter des Wächterrats passiert hatte. Hinzu kam die vorübergehende Suspendierung des Gesetzes über den Schleierzwang, das die Strafen für die Missachtung des Kopftuchgebots verschärft hätte. Dass der heutige Präsident der Republik auf die Bühne trat, bewegte allerdings nicht mal die Hälfte aller Wahlberechtigten zum Gang an die Wahlurnen. Angesichts der beträchtlichen finanziellen Unterstützung, die Iran seinen Stellvertretermächten in der Region gewährt, sowie eingedenk
der erheblichen Summen, die die Regierung für ihre Atomprogramme bereitstellt, gepaart mit systemischer Korruption, ziehen Beobachter Vergleiche zwischen Iran und der ehemaligen Sowjetunion.
Die hatte dem Wettrüsten mit dem Westen Priorität eingeräumt, hatte dafür Unsummen verfügbar gemacht und war mit der tiefen Unzufriedenheit ihrer Bevölkerung konfrontiert, was letztlich zu ihrem Zerfall führte. Zerfall droht allen Regimen, die den Rückhalt ihrer Bevölkerung verlieren und zum Schluss allein dastehen. Nach diesem Krieg wird Irans Regierung an ihrer repressiven Macht nicht festhalten können, ihre Position wird zunehmend geschwächt werden. Die relative Glaubwürdigkeit der Regierung, bei gleichzeitiger Wahrung der Souveränität des Landes, auf die Regierung stets sehr stolz war, ist vollständig dahin.
Israels Kriegsmaschine
Zuvor hatte Irans Führer Ajatollah Khamenei verkündet, Haifa und Tel Aviv würden im Falle eines israelischen Angriffs auf Teheran dem Erdboden gleichgemacht. In diesen Tagen, die deutlicher denn je gezeigt haben, über wie viel militärische Schlagkraft Israel verfügt, um Iran in den Staub zu zwingen und Unmengen an Blut zu vergießen, wird ebenso offenbar, dass sich die Beteuerungen des iranischen Militärs hinsichtlich einer Konfrontation mit Israel als lachhafte Prahlerei entpuppt haben. Israel hat in den vergangenen Tagen zahlreiche iranische Städte angegriffen und dabei neben hochrangigen Militärs und Wissenschaftlern auch Hunderte Zivilisten getötet. Die Gewaltbereitschaft und die Gnadenlosigkeit, die die israelische Regierung bereits seit Dekaden und vor allem im Krieg gegen Gaza demonstriert hat, zeigen: Diese Regierung widersetzt sich allen für die konventionelle Kriegsführung geltenden Regeln und missachtet auch bei der Tötung von Zivilisten alle roten Linien.
Israels Angriff hat Irans Regierung zwar in eine schwierige Lage gebracht, ist jedoch für Premierminister Benjamin Netanyahu, der im eigenen Land mit mangelnder Beliebtheit zu kämpfen hat und keine Chance für seine politische Zukunft
sieht, keineswegs ohne Nutzen. Man sollte zumindest nicht vergessen, dass das despotische iranische Regime durch ein Land geschwächt wurde, gegen das der internationale Strafgerichtshof wegen Kriegsverbrechen ermittelt. Meine Frau und ich blieben noch vier Tage nach Israels Angriff in Teheran, verließen unsere Heimatstadt aber gezwungenermaßen, nachdem US-Präsident Trump gewarnt hatte: »Jeder sollte Teheran sofort verlassen!«. Wir zogen uns in eine Kleinstadt nahe den Wäldern im Norden Irans zurück, auch wenn wir das Gefühl hatten, in unserem weiten Land nirgends wirklich sicher zu sein. In Wahrheit ist es doch so, dass Iran, seiner Geschichte wegen und weil das Land sich in seiner Glaubensrichtung und seiner Sprache von seinen arabischen Nachbarn unterscheidet, mutterseelenallein dasteht. Die Ähnlichkeit, die sich daraus zwischen Iran und Israel ergibt, verdient Beachtung. Ungeachtet der jeweiligen Beziehungen zwischen den Ländern der Region haben die Araber des Nahen Ostens Israel und seine jüdischen Bewohner in eine tiefe emotionale Isolation getrieben. Israel hat mit seinen heftigen Angriffen auf zahlreiche Städte Irans, insbesondere auf die Fünfzehn- Millionen-Metropole Teheran, Hass geschürt, dessen Folgen sich in Zukunft zeigen werden. Die Menschen in Israel haben ihren einzigen Freund in der Region, nämlich die iranische Bevölkerung, für immer verloren.
Ein Essay von Amir Hassan Cheheltan
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