Viele Menschen in Iran leben in Angst vor steigenden Preisen, Verslumung und der mächtigen Polizei / Von Amir Hassan Cheheltan
Herr Parsa, unser Nachbar, kaufte vor einiger Zeit einen weißen Welpen für seinen Sohn Ali, weil er glaubt, dass die Haltung und Pflege von Haustieren die naturfernen Stadtkinder dazu ermuntert, als Erwachsene die Natur zu achten und sich für den Erhalt ihrer Umwelt einzusetzen. Wenig später erfuhr ich, dass ein Polizist Alis Welpen auf der Straße beschlagnahmt hatte, weil das öffentliche Spazierengehen mit Hunden ein westliches Phänomen und demzufolge verboten ist. Herr Parsa sagte zu mir: „Mein Sohn, der sich an sein Hündchen gewöhnt hatte, ist danach krank geworden.”
Herr Parsa ist Lehrer und verdient nach fünfundzwanzigjähriger Berufstätigkeit nur etwa 400 Dollar im Monat. Außer Ali hat er eine erwachsene Tochter, die an einer Freien Universität studiert; etwa die Hälfte seines Einkommens entfällt auf die Bezahlung ihrer Studiengebühren und sonstige Kosten. Herr Parsa kehrt abends spät heim, weil er nachmittags in seiner Freizeit mit seinem klapprigen Auto Fahrgäste durch die Stadt befördert. Er sagte zu mir, dass er nach Jahren der Fahrerei noch immer besorgt sei, er müsse eines Tages einen seiner Schüler mitnehmen und ihn um das Fahrgeld bitten. Er ist der Ansicht, dass Lehrer in jeder Gesellschaft der Würde ihres Berufs entsprechend leben sollten. Sein Monatsgehalt reicht knapp für die Miete eines 70 Quadratmeter großen Appartements in Teheran. In Iran kostet ein Kilo Hühnerfleisch 2,5 Dollar und ein Kilo Rindfleisch 11 Dollar.
Trinkt nicht, bis es billiger wird!
Die existenziellen Nöte beschränken sich in Iran nicht allein auf die Lehrer, breite Schichten der Gesellschaft, insbesondere Arbeiter und Angestellte leiden erheblich darunter. Inländischen Zeitungen ist es nicht erlaubt, über die Demonstrationen der Arbeiter zu berichten, tatsächlich aber vergeht kein Tag, an dem sie nicht irgendwo im Land aus Protest gegen die Teuerung und unzureichenden Gehälter streiken. Der übliche Umgang mit diesen Kundgebungen erschöpft sich in der Mobilisierung von Einheiten zur Bekämpfung der Aufstände.
Dem letzten Bericht des Internationalen Währungsfonds zufolge ist die Inflationsrate in Iran höher als die von 175 anderen Ländern der Welt, also weit über dem internationalen Durchschnitt. Inländische Sachverständige haben erklärt, dass die Inflationsrate im vergangenen Monat die 25 Prozent-Marke überschritten habe. Die Preiserhöhungen erfolgen schubweise; nach Reis und Waschmitteln, die sich plötzlich um ein Vielfaches verteuert hatten, ist zurzeit der Tee an der Reihe, dessen unterschiedliche Sorten sich in nur wenigen Tagen um 300 bis 700 Prozent verteuert haben. Dieser Preisanstieg ereignete sich zur selben Zeit wie die FAO-Konferenz in Rom, bei der der iranische Staatspräsident acht Richtlinien zur Verbesserung der globalen Versorgungslage vorstellte. Im Inland hielten die Verantwortlichen für ihre Mitbürger einen praktischeren Rat bereit: Trinkt solange keinen Tee, bis er wieder billiger ist!
Jedes Mal, wenn ich Frau Parsa im Treppenhaus unseres Mietshauses treffe, tauschen wir die neuesten Nachrichten über die gestiegenen Lebensmittelpreise aus: „Weißt du, wie viel die Tomaten kosten? Die Preise sind astronomisch.” „Man findet keinen Zucker, sicher wollen sie ihn um ein Vielfaches verteuern”, oder „kauft so viele Eier wie möglich, demnächst sollen sie teurer werden.” Als ich Frau Parsa aber vor wenigen Tagen wieder sah, trieb sie eine neue Sorge um. Seit Beginn der Umsetzung des Plans für Soziale Sicherheit verhaftet die Polizei in Teheran Mädchen und Frauen, deren Hosen oberhalb der Fußknöchel enden, deren islamischen Mäntel zu eng sind, deren Haare unter dem Kopftuch hervorlugen, oder die sich geschminkt haben. Sie sagte, „jedes Mal, wenn meine Tochter das Haus verlässt, sterbe ich bis zu ihrer Rückkehr tausend Tode.”
Die anhaltende Trockenheit hat die wirtschaftliche Krise in Iran verschärft. Die Erdöleinnahmen und Importe von Agrarprodukten haben die Krise zwar teilweise eindämmen können, doch die Agrarexperten sind der Auffassung, dass das Land unter den derzeitigen Umständen zehn Millionen Tonnen Agrarprodukte importieren müsste, davon sechs Millionen Tonnen Weizen. Im vergangenen Jahr wurden 600 000 Tonnen Weizen ins Ausland exportiert. Einige Geistliche haben die Bevölkerung aufgefordert, um Regen zu beten!
Ein Wirtschaftswissenschaftler äußerte sich so: „Die iranische Wirtschaft (und Gesellschaft) nähert sich dem lateinamerikanischen Modell an. Die dortigen Großstädte haben abgeschottete Viertel, in denen die Bewohner sich selbst um ihre Sicherheit kümmern müssen, und die übrigen Gebiete werden von irdischen Teufeln beherrscht.”
Irdische Teufel! Jahrelang wurde die Dürre im Osten Irans ignoriert, die zu einer großen Wanderungswelle in alle Landesteile und der Entstehung zahlreicher Siedlungen im Umkreis der großen Städte geführt hat. Dort entstanden allmählich Zentren der Kriminalität. Der Oberbürgermeister von Teheran hat erklärt, dass, 3,5 Millionen Menschen in Elendsvierteln lebten. Vor kurzem berichtete der Direktor der Staatlichen Gefängnisbehörde, dass monatlich 50 000 Menschen im Land inhaftiert werden; Iran rangiert dabei unter den ersten zehn Ländern der Welt. Zurzeit leben mehr als zehn Millionen Iraner unterhalb der Armutsgrenze.
Einheimische Beobachter sind der Überzeugung, dass Korruption der wichtigste Hinderungsgrund für die Entwicklung des Landes sei, eine Korruption, die das Ergebnis der erdölbasierten Wirtschaft ist. Iranische Politiker widmen sich diesem Thema zwar gelegentlich , erwähnen jedoch nie die Ursachen. Es hat den Anschein, als benutzten sie die Korruption lediglich dazu, um ihre Rivalen aus der Politik zu vertreiben. Auch Präsident Ahmadinedschad hat angekündigt, die Öl-Mafia bekämpfen zu wollen. Bei einem der jüngsten Manöver bezichtigte einer seiner Anhänger in seinen Reden an den Universitäten mehrere hochrangige Staatsbeamte der Zusammenarbeit mit der Wirtschaftsmafia, über die umfangreiches Aktenmaterial bei der Staatsanwaltschaft vorliege. Akten, die allerdings niemals Anlass zu Ermittlungen geben. Selbstverständlich bezeichnet Ahmadinedschad die Preiserhöhungen als üble Tricks seiner Gegner im politischen Machtkampf und schrieb vor wenigen Tagen in seinem persönlichen Blog: „Die Ursachen für einige Teuerungen sind verdeckte Absprachen und die Kooperation mafiöser Bündnisse des Basars mit gewissen Politikern, die sich auch nach drei Jahren nicht der Wahlentscheidung des Volks gebeugt haben und sich an ihm wie auch an der Regierung rächen wollen.”