Anfang Mai stellte der Präsident der Republik Iran auf der Veranstaltung zur Eröffnung der internationalen Buchmesse in Teheran fest: „Die Freiheit und die Sicherheit der Schriftsteller müssen gewährleistet werden.“ Darüber, dass die Gewährleistung dieser Freiheit und Sicherheit zu den Pflichten zählt, die ihm als Mitglied der Exekutive das iranische Grundgesetz auferlegt, verlor er kein Wort. Dennoch ist nicht eindeutig, was er mit seiner Feststellung meinte. Vielleicht wollte er zum Ausdruck bringen, dass, auch wenn es bisher nicht so war, die Freiheit und Sicherheit der Schriftsteller von nun an gewährleistet werden. Allerdings rückt diese Aussicht angesichts bereits wiederholt gemachter, nie gehaltener Versprechen dieser Art in weite Ferne. In Iran beklagen fast alle Behörden, dass Kräfte am Werk sind, die sie an der Ausübung ihrer Pflichten hindern.
Der Präsident der Republik sprach weitere wichtige Aspekte an, als er sagte: „Mehrfach habe ich dem Kultusminister gegenüber zum Ausdruck gebracht, dass das Verlegen von Büchern die Sache von Fachleuten, Verlegerverbänden, Autoren und zivilgesellschaftlichen Einrichtungen sein muss und dass man das Lektorieren nicht einfachen Angestellten oder Studenten überlassen darf.“ Was lässt sich aus dem Gesagten folgern? Handelt der Kultusminister hier im Widerspruch zu den Auffassungen des Präsidenten der Republik? Wie sieht, trotz eines so wesentlichen Meinungsunterschieds, die Zukunft des Verlagswesens aus, und was wird aus der weit verbreiteten Zensur in Iran?
Ein verblüffender Wunsch
Der Kultusminister, auch er unter den Eröffnungsrednern, sagte, vielleicht in Entgegnung auf die Worte des Präsidenten: „Die Buchmesse öffnet ihre Tore nicht für jedes Buch. Die Werke, ausländische und einheimische gleichermaßen, werden jeweils nach Form und Inhalt beurteilt und anhand vielschichtiger Gesichtspunkte begutachtet.“ Für einheimische Literatur bedeutet das also, dass eine Druckerlaubnis seitens der Zensurbehörde, des Ministeriums für Kultur und islamische Rechtleitung, nicht ausreicht und dass diese Bücher mehrere Filter passieren müssen, um auf die Buchmesse zu gelangen.
Für diese Feststellungen des Ministers gab es in den vergangenen Jahren zahlreiche Beispiele. Es kam häufig vor, dass Bücher, obwohl es eine Druck-Erlaubnis für sie gab, vom Messegelände und aus den Ständen der Verleger entfernt wurden. Und doch hegt man, trotz solch offener Bekundungen und deren Folgen, im Kultusministerium den Wunsch, künftig Gastland der Internationalen Frankfurter Buchmesse zu sein, als Land, das bisher weder der Berner Konvention beigetreten ist noch sich an das Urheberrecht gebunden fühlt.
Urteil der Zensurbehörde: Nicht lesenswert
Bei der Eröffnungsveranstaltung war auch der Rede des Bürgermeisters von Teheran Interessantes zu entnehmen. Er wies darauf hin, dass wir in einer Stadt leben, in der es 8000 Parfümerien, aber nur 1200 Buchläden gibt. Die Einnahmen der Parfümerien liegen bei 15 000 Milliarden, die der Buchläden bei 1000 Milliarden Toman. Wer für diesen Zustand gesorgt hat, ließ er allerdings unerwähnt. Zu Beginn des Jahres 1979, als das Schah-Regime die Zügel bereits vollständig aus der Hand gegeben hatte, das noch junge Revolutions-Regime aber noch nicht fest im Sattel saß, hatten die bedeutendsten Tageszeitungen des Landes eine Auflage von einer Million erreicht.
Heute hingegen, und obwohl die Bevölkerungszahl sich verdoppelt hat, liegt die Auflage bei nur wenigen Tausend. Dieser Vertrauensschwund ist die Folge welcher Politik? In Iran liest niemand Bücher, weil man alle Werke für von der Zensurbehörde manipuliert und folglich für nicht lesenswert hält. In einem Zeitungsartikel zum Thema äußerte sich der Präsidentenberater und Direktor der iranischen Nationalbibliothek und stellte schlicht fest: „Die Buchmesse bietet Besuchern die Möglichkeit, Auswahl und Kauf von Büchern bequem miteinander zu verknüpfen.“
Türkische Fernseh-Serien statt zensierter Bücher
Er scheint nicht zu wissen, dass die Grundidee einer Buchmesse, auch die einer vermeintlich internationalen Buchmesse, nicht im Verkauf von Büchern an potentielle Leser liegt. Jede internationale Buchmesse soll in erster Linie Verlegern als Forum dienen, um miteinander in Kontakt zu treten, sich auszutauschen, Rechte an zu übersetzenden Büchern zu erwerben, während die städtischen Buchhändler den Verkauf bereits verlegter Bücher übernehmen.
Keiner der Redner sagt, dass Iran sich an das Urheberrecht halten sollte. Der Direktor der iranischen Nationalbibliothek verliert kein Wort darüber, warum die Werke der bedeutendsten zeitgenössischen Schriftsteller des Landes, in einem Racheakt sämtlich der Opposition zugerechnet, in der iranischen Nationalbibliothek, der wichtigsten und größten Bibliothek des Landes, nicht existieren. Der Direktor dieser Bibliothek erklärt in seinem Zeitungsbeitrag übrigens auch: „Das Lesen fördert die kulturelle Widerstandsfähigkeit!“
Das Lesen welcher Bücher? Das Lesen von Büchern, die der Regierung zu Propagandazwecken dienen? Das Lesen zensierter Bücher, die so langweilig sind, dass sie die überdrüssigen Leser dazu treiben, sich in ihrer Freizeit triviale türkische Fernseh-Serien anzuschauen? Oder das Lesen von Büchern, deren Autoren die Realität ihres Umfelds beleuchten und sie in der von ihnen bevorzugten literarischen Form wiedergeben?
Von den Holocausts der Gegenwart
In diesem Jahr ist die internationale Buchmesse nicht die einzige Ausstellung, die wir erleben. Wir Teheraner sehen einem weiteren internationalen Ereignis entgegen: der Karikaturen-Ausstellung zum Thema Holocaust, die hier zum zweiten Mal stattfinden wird. Erstmals wurde sie vor zehn Jahren veranstaltet, unter der Regentschaft des Präsidenten Ahmadineschad. Der Ausstellungsleiter sagte im Rahmen der Buchmesse, die Judenverfolgung leugnend: „Nachdem das Satire-Magazin ,Charlie Hebdo‘ die Karikatur des Propheten Mohammed veröffentlichte, haben wir beschlossen, hier in Teheran auch die zweite Karikaturen-Ausstellung zu veranstalten.
Im Westen ist die Meinungsfreiheit angeblich unbegrenzt, doch wer den Holocaust anzweifelt, muss mit einer Haftstrafe zwischen sechs Monaten und einem Jahr rechnen. Wir möchten mit dieser Ausstellung demonstrieren, dass im Westen keine Meinungsfreiheit herrscht.“ An anderer Stelle seiner Rede heißt es: „Wir sorgen uns um die Holocausts der Gegenwart, nicht nur um die von einst, Holocausts, die auch heute als Massenmord gelten. Jeder Massenmord, der zu Völkermord führt, ist ein Holocaust, und das gilt auch für das, was heute im Jemen, im Irak, in Syrien und vor allem in Palästina geschieht.“
Kein Recht auf einen eigenen Schriftsteller-Verband
Es scheint fast so, als wollten die Ausstellungsmacher durch die Betonung, ja Übertreibung der Katastrophe in all ihrer Abscheulichkeit verhindern, dass sie sich wiederholt, wobei die erste Veranstaltung noch etwas anderes zeigte. In einem Interview mit dem „New Yorker“ sagte der iranische Außenminister damals: „Die Ausstellung wird von der iranischen Regierung weder kontrolliert noch gefördert.“ Und weiter fragte er: „Warum haben die Vereinigten Staaten von Amerika einen Ku- Klux-Klan? Soll man die Amerikaner für schuldig befinden, weil es in ihrem Land Organisationen gibt, die Rassenhass schüren?“, um mit der Feststellung zu schließen: „Iran spricht nicht nur mit einer Stimme.“
Der Iran spricht nicht nur mit einer Stimme, doch eine von Regierungsorganen unabhängige Partei gibt es nicht, und man verwehrt regierungskritischen Schriftstellern das Recht, einen eigenen Verband zu gründen. Iran spricht nicht nur mit einer Stimme, doch Europäer, die im Rahmen von Kulturreisen ins Land kommen, erhalten mitunter keine Erlaubnis, mich zu treffen. Für uns Iraner haben die islamischen Lehren im Lauf der Geschichte, insbesondere während der vergangenen fünf Jahrhunderte, seit wir vom sunnitischen zum schiitischen Glauben übergetreten sind, an Legenden und Erzählungen gewonnen, die die Gerechtigkeit und Gleichheit in einer islamischen Gesellschaft betonen.
Wie weit haben wir uns diesem Modell angenähert?
In einer dieser Erzählungen heißt es, dass Hazrat Ali, der erste Imam der Schiiten, einst an einer Tafel saß, auf der Salz und Essig gedeckt waren, als Beigaben zu Brot. Der Imam hielt das für Luxus und befand: „Entweder Salz oder Essig! Eines von beiden genügt, um das Brot zu würzen.“ Angesichts all der Lehren des Islam halten die Verantwortlichen des Landes zum einen an der fest, die das Haar der Mädchen und Frauen betrifft, das nicht unterm Kopftuch hervorlugen darf, zum anderen an der über religiöse Schriften, die, ihrer Sichtweise nach, Ansehen und Moral des Islam verunglimpfen.
Ist es, achtunddreißig Jahre nach der islamischen Revolution, in deren Verlauf die Regierungskräfte nicht müde wurden, zu betonen, dass die Epoche des Imam Ali als unsere Modellepoche gilt, an der sich all unsere Politik orientiert, nicht an der Zeit, zu fragen, wie weit wir uns diesem Modell angenähert haben? Iranischen Pressemeldungen zufolge sind Anbieter von Reisen mit Privatjets hierzulande seit zwei Jahren aktiv. Das heißt, jeder, der genug Geld hat, kann gemeinsam mit vier Mitreisenden vom Flughafen Teheran aus an jeden beliebigen Ort der Welt fliegen. Wer diese Dienstleistung in Anspruch nehmen möchte, zahlt nur 3.200 Dollar pro Stunde, umgerechnet elf Millionen zweihunderttausend Toman.
Fragen Sie doch mal die inhaftierten Verbrecher!
Wer von Teheran aus nur nach Kisch, eine iranische Insel im Persischen Golf, fliegen und ein, zwei Stunden später wieder in Teheran sein möchte, zahlt dem Reiseanbieter die Summe, die ein Arbeiter in fünf Jahren verdient. Ein Vertreter aus einer dieser Agenturen sagte einem Journalisten: „Zu unseren Kunden zählen hohe Regierungsbeamte, Geschäftsleute, Wohlhabende sowie Direktoren großer Firmen, die entweder Ziele im Inland, wie Schiras, Isfahan oder Täbris anfliegen oder ins Ausland reisen, nach Russland, in den Irak, in die Türkei oder nach Europa und wieder zurück.“
Und die anderen Kunden? Amerika ist natürlich schlecht, aber mit einem Leben im Stile Hollywoods haben betuchte Iraner kein Problem, vorausgesetzt, das Haar der Mädchen lugt nicht unterm Kopftuch hervor, und Bücher, die den Geist junger Menschen zersetzen - wie hohe Regierungsvertreter es formulieren -, werden nicht gedruckt. Wir fragen diese Regierungsvertreter: Wenn derlei Romane nicht verlegt werden, schafft das Armut, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Niedergang und Arbeitslosigkeit ab? Wir sagen ihnen: Fragen Sie alle inhaftierten Verbrecher, wer von ihnen durch die Lektüre eines Romans zum Verbrecher wurde.
Ein möglicher Zusammenhang
Die Zeitung, aus der diese Meldung stammt, zitiert den Leiter des iranischen Welthandelszentrums mit den Worten: „Im Iran mit seinen 75 Millionen Einwohnern leben viele Milliardäre, die bis heute niemand namentlich kennt.“ Er hat recht: Wie sie heißen, wissen wir nicht, doch wir spüren ihre Anwesenheit in jedem Augenblick, wir sehen sie in den teuersten Karossen ausländischer Herstellung durch Teherans Straßen fahren. Statistiken und offiziellen Meldungen zufolge ist der Iran einer der zugkräftigsten Märkte für hochpreisige Konsum- und Luxusgüter. Untersuchungen besagen, dass Porsche im Jahr 2011 mit Iran in Verbindung stand, als der Westen das Wirtschaftsembargo gegen das Land verhängt hatte.
In einer Zeit, in der die Gelder aus den Öleinnahmen nicht nach Iran fließen durften, war die Nachfrage nach Porsche- und anderen Luxuswagen groß. Insgesamt wurden zwischen 2009 und 2013 fast 100.000 Luxusautos nach Iran importiert, darunter rund 2000 Porsche, die Iran zum größten Importeur des Mittleren Ostens machten, und so ist es nicht sehr verwunderlich, dass die vielen Porschefahrer, die in diesem Jahr in den Straßen und Gassen der Stadt unterwegs sind, für ihre Flugreisen ihr Privatflugzeug nutzen, Jets der Marke Phenom etwa, aus brasilianischer Produktion, oder solche des deutschen Herstellers BMW, die sein eigen nennen kann, wer jeweils fünf Millionen Dollar aufbringt. Es gibt nicht wenige derart kaufkräftige Iraner hierzulande. Ob zwischen all den Beschränkungen der Meinungsfreiheit und der großen wirtschaftlichen Ungleichheit im Land ein Zusammenhang besteht?
BY: F.A.Z