Einmal stehen die drei abends draußen und blicken auf die Stadt: der Schriftsteller Nader, seine Freundin Nastaran und der Engländer David, der Iran gerade erst kennenlernt. Drinnen haben sie gerade wüst geschminkte Teufelsanbeter und Teufelsanbeterinnen kennengelernt, draußen, auf der Terrasse vor diesem Geheimclub, blicken sie auf das schlafende Teheran, die Sterne am Himmel, unten die glitzernden Lichter der Nacht. David ist verwundert, dass es so etwas dort überhaupt gibt, und Nader antwortet, dass es alles gibt in Teheran, was man sich auch an anderen Orten vorstellen kann: „Genau deshalb sind wir ja noch hier.“

Es geht um eine Dreiecksbeziehung zwischen diesen drei Menschen in Amir Hassan Cheheltan neuem Roman „Die Rose von Nischapur“, dem Schriftsteller, seiner Braut und dem Reisenden. Sie lernen sich kennen – David und Nader waren sich vorher nur einmal begegnet –, während sie die Stadt mit ihm erkunden, und dann, als David einen Unfall erleidet, wird für eine Weile so eine Art Ménage à trois aus ihnen – aber es sind dann letztlich drei Zweierbeziehungen, es weiß nur lange keiner,woran er mit dem anderen ist.


Die Beschreibung des verborgenen Lebens von Teheran ergibt sich dabei nebenher. Nichts von dem, was Cheheltan dort beschreibt, entspricht westlichen Klischeevorstellungen von der Hauptstadt der Islamischen Republik Iran. Aber Cheheltan ist immer noch dort, da, wo die Menschen seine Sprache sprechen und die Bibliotheken vollgestopft sind mit all den alten Büchern, die er liebt. Am Exil hat er sich erfolglos versucht. Cheheltan versteht sich als einer der letzten Botschafter der persischen Kultur, und da ist ja auch etwas dran. Es gibt nicht mehr viele Schriftsteller, die auf Farsi über Iran schreiben, im Bewusstsein der persischen Geschichte – und noch viel weniger, die auch tatsächlich dort leben.

In Iran erscheinen Cheheltans Bücher schon lange nicht mehr, in Deutschland aber schon. „Die Rose von Nischapur“ hat Jutta Himmelreich übersetzt, wie schon mehrere andere seiner Romane, auch den 2020 erschienenen „Zirkel der Literaturliebhaber“. Cheheltan beschreibt seine Welt nicht so, wie man sie sich von Westen aus vorstellt, ganz sicher aber auch nicht so, wie das Regime sie sich wünschen würde – und manchmal wird einem ganz unbehaglich, wie frei er sich beim Schreiben zu fühlen scheint. „Die Rose von Nischapur“ hat er 2022 geschrieben, also noch bevor der Tod von Jina Mahsa Amini die „Frauen, Leben, Freiheit“-Demonstrationen lostrat.


Was nun die persische Literaturgeschichte betrifft, gibt es bei Cheheltan immer viel dazuzulernen, was ganz schön ist, weil man als Bewohner des Westens da oft Lücken hat. Es ist aber andererseits auch so, dass das kulturelle Sendungsbe-wusstsein die Handlung in „Die Rose von Nischaupur“ nicht gerade vorantreibt. Nader und David verbindet, zunächst, die Liebe zu Omar Khayyam, einem Universalgenie des 11. Jahrhunderts, geboren in Nischapur – seinetwegen haben sie sich kennengelernt, haben unendlich lang auf Skype diskutiert, bis schließlich David endlich die Reise nach Teheran antrat.

Khayyam war außer für seine Errungenschaften rund um die Algebra, die im 19. Jahrhundert ins Englische und ins Deutsche übersetzt wurden, auch als Philosoph und Dichter bekannt. „Man sagt, das Paradies mit Jungfrau’n sei entzückend“, heißt es in einem dieser Gedichte, „Ich find’ allein den Rebensaft berückend!/Nimm diesen Cent und den versproch’nen Schatz lass fahren/Denn Krieges Trommelklang ist nur von fern beglückend.“

Kein Mann also, der die unter anderem von Rebensafträuschen befreite iranische Öffentlichkeit geprägt hat, obwohl die Islamische Republik bemerkenswerterweise im vergangenen Jahr einen ihrer Satelliten nach Khayyam benannte. Cheheltans Buch spielt aber in Wohnzimmern und bei privaten Essenseinladungen, da fließt der Rebensaft, während über Khayyam im Lichte der Weltpolitik diskutiert wird. Kann das funktionieren, ein Leben, das auf Genuss und Euphorie ausgerichtet ist, wie es Khayyam einfordert? Wer an die Hölle nicht glaubt, sagt Nader, braucht auch den Tod nicht zu fürchten.

Man kann in die Wahl von Khayyam als Bezugspunkt für David und Nader viel hineinlesen – was das aussagt über Cheheltans Verhältnis zu seiner Heimat. Man könnte aber auch David als Stellvertreter sehen für eine westliche Einmischung von zerstörerischer Kraft. Aber Menschen, die ihr Leben genießen wollen, jedoch von einer repressiven Gesellschaft daran gehindert werden, sind Nader, Nastaram und David nicht. Sie verzagen und versagen in ihrem Streben nach Glück, weil die Liebe zerbrechlich macht.

Von Susan Vahabzadeh

 

Stadtausgabe 09.11.202420

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