erstmals in teheran gezeigt

 

Das Tehran Museum for Contemporary Art hat nach siebenundzwanzig Jahren endlich seine westlichen Kunstschätze in der Hauptstadt der Islamischen Republik der Öffentlichkeit präsentiert: Werke der bekanntesten und bedeutendsten Künstler der vergangenen zwei Jahrhunderte wie Chagall, Van Gogh, Max Ernst, Magritte, Matisse, Juan Miro, Paul Klee, Gauguin, Degas, Monet, Pissarro, Kandinsky, Pollack und sogar Picasso. Ferner Vasarely, Salvador Dali, der Popkünstler Andy Warhol und ein Werk von Rodin, dem wichtigsten Bildhauer des neunzehnten Jahrhunderts. All diese bilden nach Ansicht zahlreicher Fachleute die größte Sammlung westlicher Kunst außerhalb ihrer geographischen Grenzen.

Selbstverständlich fehlten in der Ausstellung einige Werke, wie zum Beispiel Andre Deurans „Golden Age“, das mehrere nackte Frauen zeigt, oder der Mittelteil des Triptychons „Two Figures with attendant“ von Francis Bacon. Dies leuchtet völlig ein, da wir in einer Gesellschaft leben, in der vor ein, zwei Wochen der Vertreter der Sicherheitskräfte bei der Sitzung einer Parlamentskommission zwecks Bekämpfung unzureichender Verhüllung verkündete, „Wenn man uns anweist, Verstöße gegen die Verhüllungsordnung zu ahnden, muß unzureichende Verhüllung definiert werden. Wie kurz muß ein Mantel sein, damit man ihn beanstandet, oder wie weit darf ein Kopftuch aus der Stirn gezogen sein, um es zu verbieten?“

 

Hier hat die Skulptur einfach keinen Titel

In den zwei bis drei Jahrzehnten vor dem Sturz des Schahs beherrschten Provinzintellektuelle das geistige Klima, geprägt von marxistischen oder religiösen Ideen oder einer Mischung aus beiden. Diese waren es auch, die den Hauptwiderstand gegen den Schah anführten und die städtische Mittelschicht beeinflußten. Nach dem Sieg der Islamischen Revolution übernahmen dörfliche Intellektuelle die Macht, stellten alles Vorhergehende in Frage und förderten populistische Anschauungen. Es ist offensichtlich, welches Unheil sie über die Kultur gebracht haben. Mehr als zwei Jahrzehnte dauerte es, ehe die Dorfintellektuellen die Sitten des modernen Lebens erlernt hatten. Kaum war dies geschehen, sahen sie sich gezwungen, ihre Stellungen anderen zu überlassen. Die Präsentation westlicher Kunstwerke war ihr letztes Kulturprojekt vor der Räumung der Amtssitze.

All diese Werke hatte Farah, die letzte persische Kaiserin, angekauft. Die Ausstellung ist wesentlich von einem erziranischen Zug hiesiger Kulturpolitik geprägt: der Bereitschaft zur Verfälschung. Eine Bronzeskulptur von Georges Braque, betitelt „Hymen“, wurde hier mit der Plakette „Ohne Titel“ präsentiert. Das veranschaulicht eindrucksvoll das symbolpolitische Verhalten des iranischen Staats in den vergangenen drei Jahrzehnten: Wenn wir nicht imstande sind, etwas zu ändern, können wir es doch umbenennen.

 

Eine mythologische Sicht der Welt

Die Attitüde zeugt von einer mythologischen Sicht der Welt, der zufolge Wörter imstande sind, uns in eine günstigere Position zu versetzen. Auf dieser Grundlage kann man jede Niederlage als Sieg und jeden Verlust als Gewinn deklarieren. Dementsprechend können wir auch aus der iranischen Atomdebatte am Ende nur als Sieger hervorgehen, gleichgültig, welches Ergebnis sie zeitigt.

Welche Charakteristika besitzt die Metaphysik des iranischen Menschen? Wie weit ist unser Alltagsleben von jenem durch die Politik geschaffenen fiktiven, erträumten Dasein entfernt? Kann man gewisse Denkgewohnheiten abstreifen oder sich zumindest ihrer bewußt werden? Ist es nicht diese iranische politische Romantik, die unsere geschichtliche Entwicklung verzögert hat?

Ein persischer Journalist erklärte kürzlich in einem Interview über die Atomproblematik, unsere Regierung sei darauf spezialisiert, in der letzten Minute nachzugeben, ohne irgendeinen Vorteil erzielt zu haben. Er verwies zum Beleg etwa auf die Freilassung amerikanischer Diplomaten, die 1979 in Geiselhaft genommen worden waren, sowie auf die Annahme der Resolution der Vereinten Nationen zur Beendigung des Kriegs mit dem Irak.

 

Politik des Schweigens

Demgegenüber sind die Vereinigten Staaten darauf spezialisiert, die Folgeschäden ihrer Fehlentscheidungen nicht in die aufgeschobene Zeit, sondern in ferne Länder zu verlagern: Zwei Jahrzehnte lang konzentrierten sich sämtliche Bemühungen Amerikas im Nahen Osten darauf, die russische Okkupation Afghanistans scheitern zu lassen und den Export der schiitischen iranischen Revolution mit Hilfe seiner Hauptverbündeten in der Region, Saudi-Arabien und Pakistan, mittels militärischer Mobilisierung zu verhindern. Und so entstand ein Phänomen namens Terrorismus, dessen Bekämpfung zum Hauptproblem Amerikas, des Westens, wenn nicht gar der gesamten Welt geworden ist.

Jetzt ist Iran gekränkt; in der Resolution des Weltsicherheitsrats wird die Wiederaufnahme der Verhandlungen an die Bedingung geknüpft, die Urananreicherung in der UCF-Anlage in Isfahan zu stoppen. Iran ist dazu nicht bereit und befolgt deshalb die Politik des Schweigens.

 

Diesmal ist es übertriebene Transparenz

Schargh, die bedeutende Tageszeitung der Hauptstadt, bildete in einem Bericht ein Photo der drei europäischen Außenminister aus Deutschland, Frankreich und Großbritannien in Teheran ab, die wie die berühmten drei Schulkameraden lächelnd nebeneinander sitzen, und zitierte dazu einen europäischen Diplomaten: „Zur Zeit erscheinen die Iraner eher wie Vernehmungsbeamte anstatt als Verhandlungspartner.“ Wie lange wird dieser Zustand noch fortbestehen?

Das alles hat mit der Antrittsrede des neuen iranischen Präsidenten vor den Vereinten Nationen begonnen, deren ungewöhnlich scharfer Ton bei den Hörern einen gewaltbereiten Eindruck hinterlassen hatte. Jedes Publikum erfordert die ihm angemessene Form der Ansprache. Der scharfe Umgangston ist bei inländischen Versammlungen und öffentlichen Erklärungen üblich, und die Redner haben sich an ihn gewöhnt. Kritik an dieser Rede aber übten zwei Parlamentsabgeordnete, beide promovierte Atomphysiker und Hochschulprofessoren, die bei einer Sitzung mit dem Generalsekretär des Nationalen Sicherheitsrats, dem auch die Verantwortung für die iranische Atomakte obliegt, feststellten, das nukleare Potential Irans sei in der Ansprache des Präsidenten überzeichnet worden.

Diesmal leidet Iran, scheint es an übertriebener Transparenz. Hatte das Land bisher entsprechende Aktivitäten der Atomenergiebehörde nicht gemeldet, so übertreibt es diese jetzt. Darüber freut sich eigentlich nur die Hizbullah, deren Wochenzeitung meldete, die Rede des Präsidenten vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen habe die Herzen der Gläubigen entzückt.

 

Historische Verdauungsstörungen

Sind diese Gläubigen identisch mit der Bevölkerung des Nationalstaats Iran? Unser Problem ist, daß wir noch gar keine Nation sind. Wir verfügen über keine seriöse Darstellung unserer Geschichte. Jede neue Führung ändert Kosmetisches am nationalen Selbstbild. Wir definieren uns ständig in der Auseinandersetzung mit den anderen, eine Methode, die wir fatalerweise auch beim Umgang mit inneren Angelegenheiten anwenden, und die zur Entstehung mehrerer unterschiedlicher Pseudokulturen geführt hat. In dieser Gesellschaft leiden wir an historischen Verdauungsstörungen.

Es spielt nicht nur in der iranischen politischen Kultur keine Rolle, wenn sich gewisse Dinge nicht ereignet haben, wichtig ist, daß sie wiederholt und akzeptiert werden. Die ganze Welt war Zeuge, daß im Irak, entgegen der Behauptung der Vereinigten Staaten, kein einziges Exemplar einer Massenvernichtungswaffe gefunden wurde. Dennoch wird der Weltgemeinschaft nach und nach eingeredet, daß Iran sich in Kürze in eine Atommacht verwandeln wird, was in der Abstimmung der Mitgliedsländer des Weltsicherheitsrats deutlich erkennbar war.

 

Eine deutliche Drohung

Selbstverständlich beklagen wir uns ständig über die Diskriminierungen, denen Iran in dieser ungerechten Welt ausgesetzt ist. Zur selben Zeit bewerfen wir in kopfloser Reaktion und ohne Rücksicht auf zurückliegende Erfahrungen die englische Botschaft in Teheran mit Steinen und Tomaten, verbrennen die Flaggen Großbritanniens und der Vereinigten Staaten, erwägen die Besetzung eines weiteren Spitzelnests und erklären sogar, daß im Fall der Übergabe der iranischen Atomakte an den Weltsicherheitsrat nicht nur die Interessen beider Länder im Nahen Osten gefährdet seien, sondern daß auch ihre Territorien von den Angriffen unserer sogenannten Mobilisierungstruppen nicht verschont blieben.

Gibt es eine deutlichere Drohung als diese? Iraner äußern sich zumeist zweideutig und in Anspielungen, die obige Ankündigung ist jedoch so explizit, daß sie keiner Interpretation bedarf. Selbst wenn man behauptete, sie stamme von einer verantwortungslosen Person, ändert es nichts an ihrer Wirkung. Wie lange noch wollen wir die tatsächlich existierende Welt leugnen und sie nach unseren Vorstellungen immer wieder neu erschaffen?

 

Ein heikler Zeitvertreib

In Teheran und in den Grenzen unseres Lebensbereichs kann man jede Affäre vertuschen, schließlich hat jeder Mensch irgendwo Freunde. Zum Beispiel ist seit Jahren die Rede von der Existenz von Unterlagen über Korruptionsfälle im iranischen Justizwesen und gelegentlich sogar öffentlich bekanntgegeben, die Hauptangeklagten seien Angehörige gewisser Mitglieder der Landesführung. Die Ermittlungen werden jedoch nie in Gang gesetzt.

Kann man aber auf internationaler Ebene ebenso verfahren? Würden China, Indien und Rußland tatsächlich auf ihre Beziehungen zur übrigen Welt verzichten, um bei der Atomdebatte im Weltsicherheitsrat für Iran Partei zu ergreifen?

Politik ist ein heikler Zeitvertreib, dennoch glaubt keiner sie so zu meistern wie die Iraner. Kaum einer, der keine Kenntnisse auf diesem Gebiet besäße - in Wahrheit bedeutet dieses Politikverständnis Vulgarisierung und letztendlich Sinnentleerung von Politik - „Iranisierung“ statt Versachlichung.

 

Rätselhafter Schlüssel zum Verständnis der Epoche

Um kein Mißverständnis aufkommen zu lassen, ich schäme mich nicht, Iraner zu sein, gestehe aber, daß ich bei vielen Gelegenheiten glaube, es gäbe nichts Verwerflicheres.

Jetzt steht der iranische Mensch seinem Schicksal gegenüber, dessen realem Antlitz, und er durchlebt seit zwei, drei Jahrzehnten immer wieder seine persönliche Geschichte. Dies ist der rätselhafte Schlüssel zum Verständnis der Epoche, die mit der Islamischen Revolution begonnen hat. Wird sich dieser Kreis von nun an für immer schließen, oder gibt es einen Ausweg?

 

 

BY:F.A.Z